Galeeren in der Ostsee
dieser Nacht, in der Bolitho versuchte, sich an die Größe seines Bettes und die ungewohnte Stille zu gewöhnen, dachte er noch einmal über das nach, was Inskip gesagt hatte. Was die Russen betraf, so hing sehr viel vom Wetter ab. Er lauschte auf den Wind, der um den Dachfirst pfiff, und spielte mit dem Gedanken, das Haus zu verlassen, ohne jemandem etwas zu sagen. Er konnte eine der geräuschvollen Kneipen aufsuchen, die er auf der Herfahrt gesehen hatte, und in der Menge für eine kostbare Stunde oder mehr untertauchen.
Er mußte eingeschlafen sein, denn als nächstes kam ihm zu Bewußtsein, daß Inskip, mit einer langen Zipfelmütze wie ein Kobold aussehend, ihn am Arm schüttelte, während aus einem offenbar mit Me nschen gefüllten Korridor Licht hereinfiel.
»Was ist los?«
Er sah Allday, grimmig und wachsam, als erwarte er einen Überraschungsangriff, und Ozzard, der seine Seekiste über den Fußboden zog wie ein Strandräuber seine Beute.
Inskip stieß hervor: »Ich habe es gerade erfahren: Der Franzose ist Anker auf gegangen, obgleich nur Gott weiß, wie weit er kommen wird. Es schneit verteufelt stark.«
Bolitho war im Nu auf den Füßen und griff schon nach seinem Hemd, als Inskip nüchtern hinzusetzte: »Ein Schoner brachte noch schlimmere Neuigkeiten: Mehrere britische Schiffe sind von den Russen beschlagnahmt worden. Jetzt werden die Dänen, ob sie wollen oder nicht, in den Krieg hineingezwungen.«
Browne drängte sich durch die Gruppe der Diener und Lakaien. Er war überraschenderweise komplett angezogen. Bolitho rief ihm zu: »Holen Sie einen Wagen!«
Browne antwortete ruhig: »Ich habe die Neuigkeiten gehört, Sir, und schon einen besorgt. Er wartet unten.«
Inskip stand zwischen Bolitho und dem aufgeregten Ozzard. »Sie kennen die Spielregeln. Sie dürfen erst segeln, wenn ein Tag vergangen ist!«
Bolitho sah ihn ernst an. »Wo werden die britischen Handelsschiffe festgehalten, Sir?«
Inskip war einen Augenblick nicht auf der Hut. »Bei der Insel Gotland, soviel ich weiß.«
Bolitho saß auf der Bettkante und zwängte seine Füße in die Stiefel.
»Ich werde dahin segeln, nicht zurück zu meinem Geschwader. Und was Spielregeln angeht: Ich habe oft erfahren, daß sie Befehlen gleichen.« Er packte Inskips Arm. »Sie müssen den augenblicklichen Gegebenheiten angepaßt werden.«
Als sie zusammengequetscht im Wagen saßen und die Räder lautlos über den immer dicker werdenden Schneeteppich rollten, sagte Browne: »Ich gehe jede Wette ein, daß auch der Franzose über die britischen Schiffe Bescheid weiß, Sir. Er wird sie sich holen wollen, ohne daß jemand den Finger rührt, ihn daran zu hindern.«
Bolitho lehnte sich im Sitz zurück und sammelte seine Gedanken.
»Außer uns, Mr. Browne. Außer der
Styx
.«
Zuversicht
Bolitho packte die Achterdecksreling und schaute nach vorn über das Oberdeck der Fregatte, wobei er wegen des eiskalten Windes und des Schnees die Augen zukneifen mußte.
Es war ein geisterhaftes, fast unwirkliches Schauspiel, als die Matrosen bei ihren verschiedenen Tätigkeiten wie trunken vor der Kulisse der schneebedeckten Takelage und Kanonen herumschlitterten.
Er versuchte, nüchtern zu planen, seine Gedanken auf das zu konzentrieren, was kommen konnte. Aber von dem Augenblick an, als sie Anker gelichtet und sich in einer Schneebö aus dem Hafen hinausgestohlen hatten, hatte das Wetter jedem vorausschauenden Denken Einhalt geboten.
Sie waren jetzt zwölf Stunden unterwegs, und von Rechts wegen hätte Tageslicht herrschen sollen. Auf ihren Kurs nach Südosten, auf dem sie sich – von einem scharfen schwedischen Wind übel gezaust – mühsam vorwärtsgekämpft hatten, waren ihre Bewegungen immer krampfhafter, ihre Manöver bei jedem Wachwechsel langsamer geworden. Und während der ganzen Zeit waren die Schneemassen auf stehendem und laufendem Gut angewachsen.
Bolitho hatte Mühe zu verhindern, daß seine Zähne klapperten. Trotz seines dicken Wachmantels fror er bis ins Mark. Dabei dachte er an die unglücklichen Ausguckposten im Mastkorb, die zwar nach weniger als einer Stunde abgelöst wurden, aber dann große Mühe hatten, herunterzuklettern und sich unter Deck wieder aufzuwärmen.
Angenommen, es war alles umsonst? Sein Zweifel wuchs mit jeder mühsam zurückgelegten Meile. Bolitho nahm an, daß – je mehr der Tag sich in die Länge zog – jeder Mann an Bord seinen Namen verfluchte. Angenommen, der Franzose war ganz woanders hingefahren? Er konnte
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