Galgenberg: Thriller (German Edition)
brauche nicht zu drohen.«
»Hond«, sagte Riedwaan in Williams’ Rücken. »Ich habe einmal einen Fehler gemacht, als ich es mit Ihnen zu tun hatte. Das passiert mir nicht noch mal.«
»Mir auch nicht, Faizal. Mir auch nicht.«
Auf dem Signal Hill feuerte die Kanone den Mittagsschuss ab. Ein dumpfes Grollen hallte über den Stadtkessel, und die darauf einsetzende Stille teilte den Tag in zwei Hälften. Der Wind war erneut aufgefrischt, und aufgewirbelter Sand und Plastikfetzen tanzten über das Gelände.
Williams kletterte in seinen Hummer – die Räder besprühten die Schar der Schaulustigen mit Dreck – und verschwand über die Ebenezer Road.
»Ich muss in die Gerichtsmedizin«, sagte Clare.
»Pass auf dich auf.« Riedwaan fing ihren Arm ab, als sie sich abwenden wollte.
»Mir passiert schon nichts.«
Riedwaan sah Clare nach, während sie sich durch die Menge jenseits der Polizeiabsperrung schob. Als sie um die Ecke bog, drehte er sich zu den müde aussehenden Streifenpolizisten um. Cloete und Dreyer teilten sich eine Portion Hot Wings, die das verpasste Frühstück und das wohl nie stattfindende Mittagessen ersetzen musste.
Die Sonne verharrte am hitzegebleichten Himmel und bohrte sich in Clares Scheitel, während sie zu ihrem Wagen zurückging. Im Schatten der Hochstraße war es kühler. Sie hatte den Wagen am anderen Ende des Parkplatzes abgestellt. Überall standen teure Wagen, aber keine Menschenseele war zu sehen. Selbst die Parkplatzwächter waren vom zornigen Summen der Menschenmenge am Gallows Hill angelockt worden. Clares Schritte hallten über den Parkplatz, als sie auf ihren Wagen zuhielt. Die Fernsteuerung piepste, und der Wagen blinkte zweimal. Mit zittrigen Händen öffnete Clare die Tür. Auf ihrem Sitz lagen nebeneinander eine Taschenlampe, Streichhölzer, ein Stadtplan von Kapstadt, zwei Pfefferminzbonbons, ein Tampon, eine Rasierklinge.
Alles war säuberlich aufreiht wie ein Kunstwerk. Sie klaubte die vertrauten Gegenstände zusammen, die sich, längst vergessen, in ihrem Handschuhfach angesammelt hatten. Und die jetzt, so bloßgestellt, Unheil verheißend wirkten. Alles ihr Eigentum, bis auf die Rasierklinge.
»Dr. Hart.«
Clares Magen krampfte sich zusammen. Angst. Das Frühwarnsystem der Natur und längst ein alter Verbündeter. Sie fädelte ihre Schlüssel als notdürftige Waffe zwischen die Finger und drehte sich zu Williams um.
»Faizal weiß, wo Sie sind?« Seine massige Gestalt verstellte ihr den Blick auf den Parkplatz. Der Hund kam näher.
»Gehen Sie weg von mir.«
Williams rührte sich nicht vom Fleck. »Nur ein guter Rat, Dr. Hart. Nehmen Sie sich in Acht.«
Trotz des Aftershaves roch er nach Zorn.
»Das ist eine polizeiliche Ermittlung«, sagte Clare.
»So ein hübsches Kätzchen.« Er machte einen Schritt auf sie zu. Es kostete Clare Mühe, aber sie wich nicht zurück. »Und mit so viel Kampfgeist. Das gefällt mir. Sagen Sie Captain Faizal, es wäre besser für ihn und besser für Sie, wenn er dafür sorgt, dass sich die Sache in Wohlgefallen auflöst.«
»Da drüben liegen Dutzende von Skeletten«, erwiderte Clare. »Das wird nicht passieren, ganz gleich, was Sie mir antun.«
»Sagen Sie Faizal, er bekommt nur diese eine Warnung.« Williams drückte mit der Faust leicht gegen ihr Schambein, dann trat er lächelnd zurück. »Das ist sie. Er wird sie verstehen.«
Clare knallte die Tür zu. Sie beschleunigte bis weit über das Tempolimit. Dann jagte sie über alle Fahrspuren hinweg in Richtung Gerichtsmedizin.
6
»Der Nachtwächter?« Riedwaan sah auf seinen Notizblock.
»Ich habe seine Papiere kontrolliert«, sagte Dreyer. »So wie es aussieht, hat er sie für ein Taschengeld bei dem Nigerianer in der Long Street gekauft.«
Riedwaan ging zu dem Mann, der an einem der Nebengebäude lehnte. Seine Hände umklammerten einen Blechbecher.
»Ich bin Captain Faizal.«
Die Augen, mit denen der Nachtwächter Riedwaan ansah, waren so schwarz, dass die Pupillen nicht zu erkennen waren. Quer über seine Stirn verlief ein Schnitt, notdürftig vernäht, notdürftig verheilt. Ein Machetenschlag. Auf seinem Hals ein zweiter, über dem die Haut klumpig und bleich verwachsen war. Der Nachtwächter ergriff die Hand, die Riedwaan ihm reichte. Die Zigarette nahm er auch.
»Sie haben den Leichnam gefunden?«, fragte Riedwaan.
Der Nachtwächter nickte.
»Sie haben die Polizei gerufen?«
Er nickte erneut.
»Wen haben Sie noch angerufen?«
»Meinen Boss«,
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