Galgenberg: Thriller (German Edition)
Beschriftung«, diktierte er. »Dem ersten Eindruck nach Größe achtunddreißig. Ihre Größe, Clare?«
»Genau meine Größe.«
»Eine Halskette«, fuhr er fort. Er fummelte an dem fleckigen Metall herum. Es lag eingebettet über den Schlüsselbeinen, ein ungewöhnliches Schmuckstück.
»Sieht aus, als wäre es zerbrochen«, befand Clare. »Das ist nur eine Hälfte.«
»Wir werden das alles überprüfen, sobald wir mit der Obduktion fertig sind. Bisher keine einfache Identifikationsmöglichkeit.«
»Hat es die schon jemals gegeben?«, fragte Clare.
»Manchmal stößt man auf Gold«, widersprach Raheema Patel. »Einen Ausweis in der Tasche. Einen Kindernamen im Pullover. Ich habe das genau ein Mal erlebt, bei ein paar Schulkindern, die in den Achtzigerjahren während eines Aufstands von der Sicherheitspolizei niedergeschossen und in den Dünen draußen hinter Macassar vergraben wurden. Wir exhumierten die Leichen vor zehn Jahren, kurz nachdem ich angefangen hatte, für die Vermissteneinheit zu arbeiten.«
»Grauenvoll«, sagte Clare.
»Für die Mütter, ja. Uns ersparte das viel Zeit. Aber hier wird es nicht so laufen, nehme ich an.«
»Wir sollten die Gebeine auslegen«, meinte Professor Friedman. »Wir werden diese Knochen dazu bringen, mit uns zu sprechen und uns zu verraten, wer sie war.«
Behutsam hoben sie das Skelett aus der Kiste. Ein schwarzer Stein fiel klappernd auf die Trage. Friedman nahm ihn auf. Er schmiegte sich in seine breite, behandschuhte Hand, hatte genau die richtige Breite und Länge für einen Faustkeil.
»Kains Waffe für den ersten Mord der Menschheit.« Friedman ließ ihn in eine Nierenschale fallen. »Den lassen wir auf DNA untersuchen. Die DNA der Toten bekommen wir von ihrem Femur. Und notieren Sie, dass das Labor auch auf andere Spuren als ihre achten soll.«
Clare legte den Stein in einen Beutel und schrieb die Anweisungen nieder.
»Hat sich nicht viel getan in den letzten sechstausend Jahren«, sagte Raheema Patel, während sie das Skelett auf dem Tisch auslegte. Sie breitete die Mittelfußknochen aus. Zwei Hände, zwei Füße. Zählte und benannte die langen Knochen. Tibia, Fibula, jeweils zweimal.
Die Rippen, die Schlüsselbeine, Zungenbein, Wirbelsäule.
Der Schädel mit dem zerschmetterten Schädeldach.
»Sind alle Knochen vorhanden?«, fragte Friedman.
»Vollzählig«, bestätigte seine Kollegin.
»Können Sie für Clares Niederschrift das Geschlecht bestätigen?«, fragte Friedman.
»Der Schädelform nach zu schließen weiblich«, befand die Anthropologin. »Die Brauen, das Kiefergelenk. Zierlich. Das war eine Frau.«
»Alter?«, fragte Clare.
»Das lässt sich an den Rippen feststellen. Stellen, an denen man Knorpel und Knochen finden sollte. Jetzt sehen wir uns an, wie weit der Knorpel verknöchert ist.«
Friedman hielt die Rippenenden über die Kiste mit den Vergleichsexemplaren. Fand das passende Modell.
»Da haben wir es schon. Demnach war sie um die dreißig Jahre alt. Plus minus ein paar Jahre. Sie war genau in jenem Stadium, in dem die Knochen ihre eigene Geschichte zu erzählen beginnen statt die allgemeine Menschheitsgeschichte.«
»Und die Rasse?«
»Sehen Sie sich den Schädel an. Die Züge deuten stark auf europäische Abstammung hin. Falls sie Südafrikanerin oder eine ausländische Touristin war, müssten damals alle Zeitungen über ihr Verschwinden berichtet haben.«
»Ich werde in den Archiven nachforschen«, versprach Clare. »Wie lange ist sie schon tot?«
»Ich würde auf zwanzig bis fünfundzwanzig Jahre tippen«, sagte Friedman.
»Das müsste leicht zu überprüfen sein – anhand der Unterlagen im Stadtbauamt lässt sich bestimmt feststellen, wann das Fundament gelegt wurde«, sagte Clare.
»Gut. Damit bekommen Sie ein präziseres Datum, mit dem Sie arbeiten können«, erwiderte Friedman. »Allerdings müssten die Informationen zu dem passen, was uns die Knochen sagen. Den groben Rahmen haben wir. Jetzt wollen wir mal sehen, was an ihr auffällig ist. Wie groß ist sie?«
Raheema Patel vermaß den rechten Femur und stellte die entsprechende Berechnung an. »Exakt einen Meter sechzig«, erklärte sie.
»Mehr oder weniger genauso alt und genauso groß wie ich«, stellte Clare fest.
»Klingt plausibel, bei der Schuhgröße«, sagte Raheema Patel.
Friedman nahm die Armknochen, verglich sie. »Ich glaube, sie war Linkshänderin. Und sie war sportlich. Diese Art von Belastungsspuren bei einem jungen Frauenkörper deutet
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