Galgenberg: Thriller (German Edition)
Untertasse Milch hinstellte. Aber damit handelte sie sich nur ein verächtliches Schwanzzucken ein, mit dem Fritzi in die Nacht davonstolzierte. Während sie sich einen Whiskey einschenkte, nahm sie eine Bewegung vor dem Fenster wahr. Sie hob den Kopf, erspähte aber nichts außer ihrem Spiegelbild in der Scheibe.
Als sie ihre Notizen zur Obduktion herausnahm, sah sie sofort wieder das zusammengekauerte Skelett vor sich.
Inzwischen war es abgekühlt, die Meerluft stahl sich landeinwärts. Die Nacht war klar, mondlos. Eine Fledermaus flatterte im Tiefflug vorbei, trudelte die schmale Straße entlang und verschwand unter dem Giebel des leer stehenden Hauses an der Ecke.
Clare dachte an Pedro da Silva. Und an Riedwaan – was sollte sie ihm erzählen? Ihre Beziehung zu Pedro da Silva war so komplex. Er hatte länger als jeder andere ihre Aufmerksamkeit und ihren Körper mit Beschlag belegt. Sie wusste nicht, wo sie anfangen sollte, ihn zu erklären, und sie wusste nicht, wo sie wieder damit aufhören musste. Gab es überhaupt etwas zu sagen, was nicht die Vergangenheit betraf? Und ihre Vergangenheit war eine leere Leinwand, soweit es Riedwaan anging. Sie hatte alles getan, damit das auch so blieb.
Andererseits konnte Riedwaan Geheimnisse wittern, das wusste sie aus Erfahrung. Er roch sie so, wie ein Polizeihund die Spuren eines Kadavers riecht. Auch sie besaß diese Gabe. Bei Frauen bezeichnete man so etwas als Intuition.
Clare nahm das Dröhnen des Motorrads erst wahr, als der Motor abgestellt wurde.
Der Wind verfing sich in der Haustür und knallte sie hinter Riedwaan zu. Er warf den Helm auf den Tisch im Flur und machte sich auf die Suche nach ihr.
»Wo bist du gewesen?«
»Was für ein netter Empfang«, sagte sie. »Ich freue mich auch, dich zu sehen.«
»Du bist nicht an dein Handy gegangen.«
»Du weißt, dass ich nicht gern mit dem Handy telefoniere. Ich hatte es stumm gestellt.«
»Tu das nicht.« Riedwaan nahm ihr Gesicht in beide Hände.
»Was ist denn los?«
»Waleed Williams ist los«, erwiderte Riedwaan. »Er sagte, er hätte mit dir gesprochen.«
»Das hat er. Ich soll dir zureden, dass die Ermittlungen eingestellt werden.«
»Honds Markenzeichen: seinen Feinden Nachrichten auf den Körpern ihrer Frauen zu schicken. Als er das zum ersten Mal gemacht hat, war er gerade sechzehn. Damals ritzte er seine Botschaft in den Bauch der schwangeren Freundin eines rivalisierenden Gangsters. Sie hat nicht überlebt. Die meisten anderen auch nicht.«
»Es geht mir gut«, sagte Clare. »Ich bin hier. Ich kann auf mich aufpassen.«
»Ja, ich weiß. Ich weiß.« Allmählich flaute seine Panik ab.
»Aber würdest du wirklich die Ermittlungen einstellen, nur weil er mir gedroht hat?«
Riedwaan fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar. »Nein. Wahrscheinlich nicht.«
»Das dachte ich mir«, sagte Clare. »Es wäre also sinnlos gewesen, dir seine Nachricht zu übermitteln, oder?«
»Bitte sei vorsichtig.«
»Das bin ich immer.«
»Wo genau warst du heute eigentlich?«
»Bei Dreharbeiten mit Pedro da Silva«, antwortete sie. »In der Slave Lodge. Alles lief mehr oder weniger ohne große Komplikationen.«
»So was läuft nie ohne Komplikationen. Sieh dir nur meine Familie an, wir tun seit einhundertfünfzig Jahren so, als wären wir im achtzehnten Jahrhundert auf einer unfreiwilligen Kreuzfahrt hier gestrandet und geblieben, weil es hier so schön ist.« Er lachte freudlos. »Hast du was gegessen?«
»Ja, ein Thaicurry. Und du?«
»Ein Gatsby und ein paar Samoosas, die Rita gekauft hat«, antwortete Riedwaan. »Sie will mich aus dem Weg räumen.«
»Und was hat sie gegessen?«, fragte Clare lächelnd.
»Zwei Gatsbys«, sagte Riedwaan. »Die Frau ist nicht umzubringen. Ich hätte diese Mengen an Sandwich, Fleisch und Pommes frites nicht essen können. Das hier ist übrigens für dich.«
Er reichte Clare den Ordner, den sie im Grundbuchamt abgeholt hatten.
»Staatseigenes Land«, überlegte sie nach einer Weile. »Weißt du inzwischen, wann das Lagerhaus gebaut wurde?«
»Das ist kein Geheimnis. Anfang 1988. Es steht alles in den Akten. Und es war alles legal«, antwortete Riedwaan. »Die Firma hieß Tony Gonzalez Construction. Ein mittelgroßes Unternehmen. Baute ziemlich viel in der Gegend. Wurde von einer Firma beauftragt, die das Land in Erbpacht genommen hatte.«
»Hast du die überprüft?«
»Das macht Rita«, sagte Riedwaan. »Sie mailt uns das Ergebnis. Das einzige Problem ist, dass
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