Galgenberg: Thriller (German Edition)
ihnen, als wären es Tiere. Sie haben überhaupt keinen Respekt.«
»Und wenn wir unsere Arbeit nicht tun?« Tim Stone wandte sich an die Menge. »Dann ist alles verloren, und der Bau wird einfach fertiggestellt. Dann werden Sie nie erfahren, wer die Menschen waren, die hier starben. Und Sie werden nie erfahren, wie oder warum sie starben. Man wird überhaupt nichts über sie wissen.«
Waleed Williams fing Clares Blick auf, als er sich langsam durch die Menge aus dem Schuppen schob, dicht gefolgt von seinem Schlägertrupp. Nach getaner Arbeit.
»Sie dürfen die Bauarbeiten nicht aufhalten.« Ein Bauarbeiter im blauen Overall stieß die Frau beiseite. »Wo sollen wir sonst Arbeit finden? Wir müssen schließlich essen. Unsere Kinder müssen essen.«
Die Männer um ihn herum pflichteten ihm bei.
»Sie finden es also in Ordnung, wenn wir die Geschichte zubetonieren?«, wollte Stone wissen. »Für Geld. Wie viel werden Sie wohl dafür bekommen?«
»Sie haben doch keine Ahnung.« Der Bauarbeiter baute sich vor Stone auf. »Sie haben keine Ahnung von Geld, von hungernden Kindern.«
»Hey, das ist nicht Ihre Stadt«, schnauzte die Frau mit dem roten Kopftuch den Bauarbeiter an. »Sie sind nicht mal von hier, und Sie wollen uns unsere Geschichte wegnehmen. Sie ausradieren. Sie sind noch schlimmer als der da.« Sie zeigte mit dem Finger in Stones Richtung.
Ein Stein kam über die Köpfe geflogen. Er landete direkt vor Clare. Hinter der Menge kletterten Polizisten in Kampfmontur aus einem gepanzerten Wagen.
»Bitte, Leute. Es gibt Vorschriften.« Stones Stimme stieg leicht an. Er hatte gewöhnlich mit Knochen zu tun. Nicht mit einer wütenden, hitzigen Menge. »Es wird eine öffentliche Anhörung geben. Die wird hier auf der Baustelle abgehalten, als Teil des National-Heritage-Prozesses. Ich muss Sie daher bitten …«
Der erste schmale Ziegel traf ihn am Kopf. Blut spritzte aus seiner Schläfe.
»So etwas habe ich noch nie erlebt.« Seine sanften Augen weiteten sich überrascht, als ein Hagel von Steinen auf ihn niederging.
18
»Und Sie wollen wirklich fahren?«, erkundigte sich Riedwaan.
»Hören Sie auf, mich das zu fragen«, meinte Rita. »Ich mache das hier schon seit drei Jahren.«
Riedwaan sah sie an. Sie war zäh, das wusste er, aber sie war erst vierundzwanzig. Und sie brachte es an guten Tagen auf gerade mal achtundvierzig Kilogramm. Allerdings konnte er ihr das nicht sagen. Genauso wenig, wie er ihr sagen konnte, dass er sie nicht allein losschicken wollte, weil sie eine Frau war. Und dass dieses Land nicht gut zu Frauen war, schon gar nicht zu Frauen ihres Typs. Nichts davon konnte er ihr sagen, darum schluckte er seine Angst hinunter – seine Vorurteile, hätte Rita behauptet – und schob ihr die Akte zu, die er bei den Zahlenfressern im Untergeschoss geholt hatte.
»Das ist der inoffizielle Bericht«, sagte er.
»Mpumalanga Holding«, las sie vor.
»Oktopus wäre ein besserer Name«, sagte er. »Hat überall seine Tentakel drin. Sehen Sie sich nur diese Liste an. Mann für Mann aufrechte Kampfgenossen und Sozialisten – bis sie an eine öffentliche Ausschreibung geraten.«
»Wir werden sehen, was sich in Jo’burg ergibt. Ich habe schon gepackt. Ich bin abreisebereit. Und Sie stecken hier fest. Ich mache die Vorarbeiten. Falls ich Sie brauche, rufe ich Sie an.«
Riedwaan sah einer Seeschwalbe zu, die vor dem verspiegelten Fenster kreiste und sich selbst anschrie.
»Ich brauche nur die Schwingen auszubreiten«, sagte Rita.
»Gut, dann sollten wir los.«
Riedwaan bog vom Highway ab. Der Flughafen, nichts als stählerne Rippen und Glas, glänzte im Nachmittagslicht.
Er parkte und half Rita mit ihrer Reisetasche.
»Sie reisen leicht«, stellte er fest.
»Ich werde nur vierundzwanzig Stunden weg sein«, antwortete sie. »Wie viele weiße T-Shirts kann ich an einem Tag schon tragen?«
Sie trug ihre Ziviluniform. T-Shirt, Cargohose, schwarze Basketball-Turnschuhe. Um ihren Hals hing ein kleiner, goldener St. Christophorus. Schutzpatron der Reisenden.
»Ich rufe Sie an«, versprach sie und schulterte die Tasche. »Sobald ich irgendwas in der Hand habe. Heute die Anwälte. Noch mal das Grundbuchamt, dann die Sekretärinnen und Witwen.« Rita grinste Riedwaan an.
»Was verschweigen Sie mir, Mkhize?«, fragte er.
»Ich dachte, ich fahre mal raus nach Mpumalanga«, gestand sie. »Schau mir die Plätze an, von denen Siphokazi erzählt hat. Das Dorf, die Wildfarm. Man kann nie
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