Galgenberg: Thriller (German Edition)
öffnete die Tür zu ihrem Studio und deutete auf die verhüllte Büste auf ihrem Arbeitstisch. »Ich habe die ganze Nacht durchgearbeitet. Das ist sie. Die Lady im grünen Kleid.«
Sie hob das Tuch von dem Kopf und enthüllte ein klar gezeichnetes Gesicht. Eine hohe Stirn, die Brauen perfekt geschwungen über den weit auseinanderliegenden Augen. Das Haar hatte Katrin Goldfarb nach oben und aus der Stirn gekämmt.
Clare drehte die Büste leicht zur Seite. »Sie war sehr schön«, stellte sie fest, während sie mit den Fingerspitzen über das Profil strich. Die matten Lehmaugen wirkten genauso beklemmend wie die gespenstische Vertrautheit des Gesichts. »Genauso alt wie ich. Schon jenseits der Kindheit. Aber auch noch nicht alt.«
»Vergessen Sie nicht, dass es sich hierbei nur um eine annähernde forensische Gesichtsrekonstruktion handelt. Die Nase besteht ausschließlich aus weichem Gewebe, da kann man nur raten. Genau wie bei den Ohren. Aber bei dieser Schädelform hatte die Knochenstruktur etwas sehr Delikates.« Zärtlich wie eine Mutter berührte Katrin Goldfarb den Kopf. »Und die Knochen bilden die Architektur eines Gesichts. Ihre Schönheit gründete auf Symmetrie und Proportionen. Damit wurde sie geboren.«
Die Künstlerin sah Clare an. »So wie ich es erlebt habe, ist diese Art von Schönheit nur selten ein Segen. Sie ist etwas, das Männer gern besitzen würden. Vielleicht hat sie das umgebracht.«
»Vielleicht«, meinte Clare. »Vielleicht war sie aber auch nur zur falschen Zeit am falschen Ort.«
»Wann kommt das in die Presse?«
»Bald«, antwortete Clare. »Vorerst will ich die Sache noch zurückhalten. Ein paar Spuren verfolgen.«
Sie machte eine Reihe von Fotos von dem Lehmgesicht, das Katrin Goldfarb angefertigt hatte.
»Ich packe sie für Sie ein«, bot sie an, als Clare fertig war.
Sie hob den Kopf an, schlug ihn in Seidenpapier und senkte ihn in einen Karton.
»Es ist schwer, jemanden nach so langer Zeit zu identifizieren.« Katrin Goldfarb überreichte Clare die Schachtel wie ein Geschenk. »Vor ein paar Jahren habe ich für Raheema Patel ein kleines Mädchen modelliert. Jeder Vater und jede Mutter, die je ein Kind verloren hatten, sahen das Gesicht ihrer Tochter darin.«
Clare fuhr zum Bo-Kaap zurück, vorbei an den zahllosen Plakaten an der Buitengracht, einem einzigen Mischmasch verschiedenster Gesichter. Auf einigen war eine neue Band abgebildet, auf anderen das neueste »It-Girl« der Kunstszene, das Gesicht wie verschattet im orangefarbenen Glühen der Straßenbeleuchtung.
Am liebsten wäre Clare sofort ins Bett gekrochen und hätte geschlafen. Stattdessen rief sie Vincent van Kleef in Amsterdam an.
»Ich kann Ihnen Bilder der Frau schicken, die möglicherweise Ihr grünes Kleid gekauft hat«, erklärte Clare.
»Okay, schicken Sie sie mir, ich rufe dann zurück.«
Es war eine winzige Möglichkeit.
Riedwaan stellte den Toyota wieder auf dem Polizeiparkplatz ab. Er holte die Schlüssel zu seinem Motorrad und den Helm aus seinem Büro. Ohne das Wummern der Bässe aus Rita Mkhizes iPod war es hier entschieden zu still. Er spielte mit dem Gedanken, sie anzurufen, sie noch einmal zur Vorsicht zu ermahnen, aber dann tat er es doch nicht. Sie würde ihn nur auslachen und ihm abermals erklären, dass sie ein großes Mädchen sei, was sie auch war – vielleicht nicht körperlich, aber auf jeden Fall an Kampfgeist.
Bei Nando’s in der Long Street hielt er an und bestellte für sich ein Peri-Peri-Hühnchen, zwei Portionen Pommes frites und einen Liter Cola. Für Clare nahm er einen Chickenburger ohne Brötchen und einen Salat. Sie würde ihm sowieso alle Pommes frites wegessen. Er dachte an sie und gab daraufhin der hübschen Bedienung einen Zwanziger als Trinkgeld. Zum Dank beschenkte sie ihn mit einem breiten, glücklichen Lächeln.
Clare lag zusammengerollt auf der Couch und schlief.
»Wie wär’s mit einem Drink?« Er stupste sie liebevoll an.
Sie setzte sich auf und schlug die Beine unter. »Das ist genau das, was ich jetzt brauche.«
Riedwaan verschwand in die Küche. Er schenkte sich zwei Fingerbreit ein und Clare einen.
»Du siehst fertig aus.« Riedwaan setzte sich neben sie.
»Es geht schon«, antwortete sie und lehnte sich an ihn. »Ich bin nur müde.«
»Wie ist sie?« Er nahm sie in den Arm.
»Wunderschön.« Clare nahm einen Schluck Whiskey.
»Es ist ein Job, Clare«, sagte Riedwaan. »Du musst ihn einfach nur machen.«
»Es geht darum, wie ich
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