Galgenberg: Thriller (German Edition)
eisig.
Merle Osman kleidete ihren kantigen Körper mit brutaler Eleganz. Maßgeschneidertes Seidensakko, Röhrenhosen, Schuhe ohne Spitze. Alles so schwarz wie ihre Haarkaskade.
»Danke, skat . Bring uns noch Kaffee.«
Das Mädchen entschwebte.
»Sie können sich da drüben hinsetzen, Clare.« Sie spreizte einen Finger ab. »Eames-Sessel gehören zu den wenigen Kunstwerken, die einen Nutzwert haben.«
»Danke, Miss Osman«, erwiderte Clare.
»Sagen Sie Merle.« Merle Osman ließ sich in einem Sessel ihr gegenüber nieder.
»Nette Räumlichkeiten. Wie lange haben Sie die Galerie schon?«, fragte Clare.
»Wir waren die Ersten, die sich hier niederließen, Gilles und ich«, antwortete sie. »Wir waren Pioniere Anfang der Neunziger. Damals zogen wir von Green Point hierher. Viel billiger. Inzwischen folgen alle nach. Jeder, der etwas auf sich hält, zieht nach Woodstock. Green Point ist nur noch was für Touristen. Genau wie die Waterfront.«
»Wo befand sich die Galerie davor?«, fragte Clare.
»Abseits der Somerset Road. Wir sind inzwischen seit gut fünfzehn Jahren hier.«
»Ich nehme an, Sie wissen von der ganzen Aufregung am Gallows Hill?«
»Schrecklich.« Merle Osman erschauderte. »Ich dachte, die Zeiten der brennenden Reifen und Steinewerfer wären längst vorüber.«
Das Galeriemädchen erschien wieder, ein Tablett in den Händen.
»Stell es hier ab, skattebol . Danke. Dann kannst du gehen.« Merle Osman schenkte den Kaffee in winzige Tässchen. »Sie sind also ein Fan von Lilith?«
Die Tür öffnete sich, und sie sah auf. Gilles Osman trat ein, dessen blasse Gesichtshaut sich über markante Züge spannte.
»Kennen Sie meinen Bruder?«
»Ich habe Sie am Gallows Hill gesehen«, erklärte er mit einem melancholischen Lächeln. »Kaum zu glauben, dass Sie sich das gefallen lassen mussten.«
»Ach, Sie waren dort?«, wollte Clare wissen.
»Gilles ist im Geschichtskomitee von Green Point, um für seine Sünden zu büßen«, sagte Merle. »Schon seit ewigen Zeiten.«
Er griff nach einer Kaffeetasse. »Sie sind wegen Suzanne le Roux hier, wie ich gehört habe.«
Merle Osman setzte ihre Tasse ab. Feinstes Porzellan. Das Klappern kaum hörbar.
»Ihrer Gebeine, meine ich«, verbesserte sich Gilles Osman.
»Genau«, sagte Clare. »Man hat Sie informiert?«
»Kapstadt.« Er schwenkte abfällig die Hand. »Die ganze Stadt ist eine einzige Gerüchteküche.«
»Stimmt.« Clare beschloss, die Mappe mit den Zeitungsausschnitten und den anderen Unterlagen nicht aus der Tasche zu ziehen.
»In dieser Stadt lässt sich ein Geheimnis nur hüten, wenn man es vor aller Augen versteckt«, meinte Merle Osman.
»Kannten Sie Suzanne le Roux?«, fragte Clare.
»Wir haben sie damals vertreten«, antwortete Osman. »Wir vertreten sie immer noch, wenn etwas von ihr verkauft werden soll. Was allerdings kaum noch vorkommt. Sie hat nicht viel produziert.«
»Wir haben sie zu dem gemacht, was sie ist«, mischte sich Merle Osman ein. »Und ihre Arbeiten sind inzwischen durchaus wertvoll.«
»Das waren sie schon damals«, sagte Osman.
»Aber Ihre Beziehung war nicht nur geschäftlich, wie ich gehört habe?«, erkundigte sich Clare.
»Darf ich fragen, wieso Sie sich für Suzanne interessieren?«, wollte Merle Osman wissen.
»Ich arbeite zurzeit an einem Film über die Sklaven am Kap. Darum wurde ich überhaupt zum Gallows Hill gerufen – als dort die alten Skelette entdeckt wurden. Suzannes Leichnam wurde ebenfalls dort gefunden«, erwiderte Clare. »Wenn wir herausfinden wollen, wer sie damals umgebracht hat, muss ich mehr über sie erfahren.«
»Natürlich müssen Sie das«, sagte Osman. »Das müssen wir alle. Es war wirklich ein Schock. Der alles, was wir damals glaubten, über den Haufen geworfen hat.«
»Haben Sie schon mit Lilith gesprochen?«, fragte Merle Osman.
»Ja«, sagte Clare.
»Wir kennen Lilith schon seit Ewigkeiten.«
»Lilith wurde damals ganz allein aufgefunden«, erzählte Clare. »Von dem Polizeikommando, das ihre Mutter verhaften sollte.« Schweres Schweigen lag über dem Raum. »Suzanne war nicht zu Hause. Sie war verschwunden, allem Anschein nach untergetaucht. Jedenfalls war sie nicht dort. Ich habe mich gefragt, warum niemand je auf die Idee kam, dass sie nicht untergetaucht war.«
»Weil niemand einen Grund dazu hatte«, erklärte Osman. »Alles schien zu passen. Damals lebten viele Leute im Untergrund. Damals war alles anders.«
»Was wussten Sie über ihre politischen
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