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Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Titel: Galgenfrist für einen Mörder: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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die diesen Jungen missbraucht, gefoltert und dann ermordet hat und, wie Sie selbst vermuteten, hinter vielen ähnlichen Gräueltaten steckt?«
    Simmons trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. »Nein, Sir, das hat er nich’.«
    »Und es fiel Ihnen schwer, zu verstehen, dass er das Leben von Kindern für so viel bedeutender halten könnte als die Unterschlagung der Zollgebühr für beispielsweise ein Fass Brandy?«
    Simmons setzte zu einer Entgegnung an, überlegte es sich dann aber anders und schwieg.
    »Haben Sie Kinder, Mr. Simmons?«, erkundigte sich Tremayne in freundlichem Ton, wie man ihn oft in einer Konversation mit Leuten anschlägt, die man soeben kennengelernt hat.
    Hester hielt den Atem an. Hatte der Mann Kinder? War das wichtig? Worauf wollte Tremayne hinaus? Zumindest hatten einige der Geschworenen Kinder, wenn nicht sogar alle. Ihre Fingernägel gruben sich in die Handflächen.
    »Nein, Sir«, antwortete Simmons.
    Ein sehr feines Lächeln spielte um Tremaynes Mundwinkel. »Wie auch Sir Oliver. Vielleicht lässt sich damit einiges erklären. Nicht jeder teilt Mrs. Monks Mitgefühl für die Verwundeten und die Toten, die keiner eigenen Familie angehören dürfen und in dieser Gesellschaft völlig heimatlos sind.«
    Ein unüberhörbares Raunen breitete sich in der Galerie aus. Von beiden Seiten drehten sich Zuschauer zu Hester um. Einer lächelte sie sogar an und nickte.
    Simmons errötete heftig.
    Tremayne ließ sich seinen Triumph klugerweise nicht anmerken. »Sie müssen darauf nicht antworten, Mr. Simmons.« Er neigte vor dem Richter den Kopf, als wollte er ihm danken, dann kehrte er zu seinem Stuhl zurück.
    Rathbone wirkte seiner Sache etwas weniger gewiss, als er seinen nächsten Zeugen aufrief, einen Hafenmeister namens Trenton, der für den Pool of London zuständig war. Dieser äußerte sich über Durbans jahrelange Freundschaft mit den Mudlarks , Bettlern und Gelegenheitsdieben, die den größten Teil ihres Lebens am Flussufer verbrachten. Diesmal zeigte sich Rathbone deutlich vorsichtiger und gestattete seinem Zeugen nur in sehr eingeschränktem Maße, seiner Meinung freien Lauf zu lassen. Tremayne hatte einen emotionalen Sieg errungen, aber von jetzt an würde es ihm weitaus schwerer fallen, einen weiteren Erfolg zu verbuchen.
    »Hat viel Zeit mit ihnen verbracht«, brummte Trenton mit einem kleinen Schulterzucken. Er war ein untersetzter Mann mit einer mächtigen Nase und von sanfter Art, doch bei allem Respekt vor der Obrigkeit ließ er beträchtliche Kraft und in über fünfzig Jahren verfestigte Meinungen erkennen. »Hat mit ihnen geredet, ihnen Ratschläge gegeben, manchmal sogar sein Essen mit ihnen geteilt oder ihnen die eine oder andere Münze zugesteckt, solche Sachen eben.«
    »Suchte er Informationen?«, erkundigte sich Rathbone.
    »Wenn er das wollte, dann wär’ er ein Dummkopf gewesen. Damit erwirbt man sich bloß den Ruf,’ne Memme zu sein, und dann stehen sie von der Tower Bridge bis zur Isle of Dogs Schlange, und jeder erzählt dir für ein, zwei Pence alles, was du gerade hören willst.«
    »Ich verstehe. Was könnte er also vorgehabt haben. Wissen Sie das?«
    Trenton war gut vorbereitet. Tremayne beugte sich vor, bereit, wegen Spekulierens Einspruch zu erheben, doch er bekam keine Möglichkeit dazu.
    »Keine Ahnung, was er vorhatte«, erklärte Trenton und schob verwirrt die Unterlippe vor. »Hab nie’nen anderen Flusspolizisten oder einen von den Straßenpatrouillen gesehen, der sich wie er mit Bettlern und Herumtreibern abgegeben hat, jedenfalls nich’ mit so was wie Jungs. Erstens wissen sie nich’ viel, und zweitens würden sie sowieso nix Wichtiges sagen.«
    »Woher wissen Sie das, Mr. Trenton?«
    »Ich führ’nen Hafen, Sir Oliver. Da muss ich wissen, was die Leute in meinem Gebiet treiben, vor allem dann, wenn man davon ausgehen kann, dass es nich’ ganz astrein is’. Ich hab ihn über die Jahre hinweg im Auge behalten. Es gibt nich’ viele unanständige Polizisten, aber ausschließen kann man so was nie. Nich’ dass ich ihm das unterstellen will«, fügte er hastig hinzu, »aber ich hab ihn beobachtet. Dachte am Anfang, er wär”n Kinderfreund.«
    »Ein Kinderfreund?«, fragte Rathbone, obwohl er die Anspielung natürlich genau verstanden hatte. Sein Einwurf galt vor allem den Geschworenen.
    Und Trenton begriff. »Einer, der Kinder dazu bringt, Sachen für ihn zu stehlen. Meistens sind das Seidentücher, Münzen, kleine Wertgegenstände.

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