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Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Titel: Galgenfrist für einen Mörder: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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einem Stapel Holz und einer Gruppe Leichterschiffer, die Tabak, Rohzucker und Rum ausluden. Es war wieder Ebbe, das Wasser leckte am Seetang, der die Steinstufen zum Fluss hinunter bedeckte, und die Boote stießen gegen die Mauer.
    Plötzlich gerieten ein Leichterschiffer und ein Dockarbeiter in Streit, der sich schnell ausweitete, bis schließlich ein halbes Dutzend Männer durcheinanderschrien und handgreiflich wurden. Vor diesem Hintergrund geschah ein Raub, wie Monk ihn oft genug beobachtet hatte. Passanten gafften, nach und nach bildete sich eine Menschenmenge, und während alle nur noch Augen für die Schlägerei hatten, machten sich Taschendiebe lautlos an ihre Arbeit.
    Monk spürte einen Stoß, wirbelte herum und sah sich einer alten Frau gegenüber, die ihn mit einem zahnlosen Grinsen anglotzte. Im selben Moment wurde er von hinten so leicht berührt, dass der Dieb sich schon wieder ein paar Meter entfernt hatte, ehe Monk ihm nachrannte und Scuff ihn mit einem blitzschnellenTritt gegen das Schienbein zu Fall brachte. Empört zeternd wand sich der Dieb auf dem Boden und umklammerte sein linkes Bein mit beiden Händen.
    Monk zerrte ihn erbarmungslos hoch. Zehn Minuten später hockten sie auf der obersten Stufe, der Gelegenheitsdieb wie ein begossener Pudel zwischen ihnen, und er war bereit zu sprechen.
    »Ich hab ihm nix gesagt, weil ich von nix’ne Ahnung hatte«, jammerte der Mann. »Und von Mary Webber hab ich auch nie was gehört. Ich hab bloß gesagt, ich will mich umhören, und ich schwör Ihnen, das hab ich auch getan.«
    »Was wollte er von ihr?«, knurrte Monk. »Wie muss man sie sich vorstellen? Wann fragte er zum ersten Mal nach ihr? Er muss dir mehr als nur ihren Namen mitgeteilt haben. Wie alt war sie? Wie sah sie aus? Wofür brauchte er sie? Warum hat er dich beauftragt? War sie eine Pfandleiherin, Geldverleiherin, Hehlerin, Bordellbetreiberin, Engelmacherin, Hure, Kupplerin? Was war sie?«
    Der Mann wand sich. »Herrgott! Ich hab keine Ahnung! Er hat gesagt, sie is’ so um die fünfzig, so ungefähr eben.’ne Hure war sie also nich’, oder wenigstens nich’ mehr. Von dem anderen, was Sie aufgezählt haben, hätte sie alles sein können. Das Einzige, was er mir gesagt hat, is’ ihr Name und dass sie goldbraune Augen und lockiges Haar hat, kleine, feine Locken.«
    »Wofür brauchte er sie? Wann hat er dich zum ersten Mal gebeten, sie zu suchen?«
    »Keine Ahnung!« Zitternd wich der Mann ein paar Zentimeter von Monk zurück. »Meinen Sie etwa, ich hätt’s ihm nich’ gesagt, wenn ich’s gewusst hätte?«
    Monk spürte, wie die Angst auch an seinem eigenen Inneren fraß, wenn auch aus einem völlig anderen Grund. »Wann?«, drängte er. »Wann hat er dich zum ersten Mal nach Mary Webber gefragt? Was wollte er sonst noch wissen?«
    »Nix! Is’ ungefähr zwei Jahre her, vielleicht weniger. Winter war’s und’n schlimmer Tag, weil er draußen in der Kälte stehen blieb und ich schon halb erfroren war. Meine Hände waren schon ganz blau!«
    »Hat er sie je aufgespürt?«
    »Das weiß ich doch nich’! Keiner in der Gegend hier hatte je von ihr gehört. Und ich kenn alle Hehler und Schmuggler, alle Pfandverleiher und Wucherer von Wapping bis nach Blackwall und zurück.«
    Monk beugte sich bedrohlich vor, woraufhin der Mann noch mehr schrumpfte. »Hör auf damit!«, blaffte er. »Ich will dich nicht schlagen!« Er hörte den nur noch mit Mühe beherrschten Zorn in seiner Stimme, aber die Namen Durban und Mary Webber schienen überall schon genug Furcht zu erregen.
    Doch dieser Mann konnte oder wollte ihm nicht mehr sagen.
    Danach versuchte Monk es mit anderen Kontaktpersonen am Fluss, die er im Laufe des halben Jahres seit Dienstantritt bei der Wasserpolizei kennengelernt hatte, und mit Namen, die er in Durbans Aufzeichnungen gefunden hatte.
    »Er hat den Jungen von der dicken Tilda gesucht«, verriet ihm eine alte Frau mit einem derart heftigen Kopfschütteln, dass ihr zerbeulter Strohhut ins Wackeln geriet. Sie standen keine drei ßig Schritte vom Kai entfernt vor der Mündung eines Durchgangs. Es war laut, staubig und heiß. Die Frau trug einen Korb mit Schnürsenkeln am Arm, von denen sie bisher anscheinend nicht viele verkauft hatte. »Der war nämlich verschwunden. Der Polizist hat ihr dann gesagt, dass sie ihn vielleicht beim Klauen erwischt hatten, aber sie hatte Angst, dass Phillips ihn in seinen Krallen hatte. Kann gut so gewesen sein. Dumm wie Bohnenstroh, der Kerl.«
    »Was ist

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