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Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Titel: Galgenfrist für einen Mörder: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Und er hat Melcher jedes Mal drangekriegt, wenn der nich’ auf andere Jungs aufpasste. Phillips wusste das genau. Pearly Boy genauso. Und Reilly is’ erst verschwunden, als Durban schon tot war. Aber was wissen Sie denn schon? Zu nix zu gebrauchen!« Sie spuckte auf den staubigen Boden. »Sie bringen mich nich’ zum Lachen wie er. Und zum Essen krieg ich auch nix von Ihnen.«
    Monk entfernte sich mit Scuff, tief in Gedanken versunken. Die Beleidigungen störten ihn nicht weiter. Es waren die Informationen, die ihm durch den Kopf schwirrten und die er ordnen musste. Melcher war seines Wissens ein Pascher, und zwar einer der brutalsten. Laut der Alten hatte Durban ihn also wegen irgendetwas in der Hand gehabt. Pearly Boy war ein wohlhabender Hehler, der sich auf den Kauf und Verkauf wertvollen Diebesguts spezialisiert hatte, ein Mann, dessen Ruf, skrupellos und gierig zu sein, am ganzen Fluss so gefestigt war, dass er vor den in diesem Gewerbe üblichen Gefahren und Ärgernissen geschützt war. Aber anscheinend hatte Durban auch ihn in der Hand gehabt. Und das dürfte Phillips nicht gefallen haben.
    Doch wer war Reilly? Oder, wenn die Andeutungen der Alten zutrafen: Wer war er gewesen, und was war mit ihm geschehen?
    Scuff wurde unruhig. Immer wieder blickte er zu Monk hinüber, um gleich wieder wegzuschauen.
    »Was ist?«, fragte Monk schließlich, als sie eine schmale Brücke in Wapping Basin überquerten und ihre Schritte westwärts lenkten.
    »Sie hätte nich’ so mit Ihnen sprechen dürfen«, knurrte der Junge. »Sie hätten sie nich’ damit davonkommen lassen sollen. Nimmt sich ganz schön viele Freiheiten raus, diese Frau.«
    Scuff hatte recht. In seiner Erleichterung darüber, jemanden so gut über Durban sprechen zu hören, hatte Monk nicht auf ihre Beleidigungen geachtet und nichts getan, um sie seine Autorität spüren zu lassen. Das war ein Fehler, der korrigiert werden musste, oder er würde später den Preis dafür zahlen. Er erklärte Scuff, dass er vollkommen richtiglag, was der Junge zufrieden zur Kenntnis nahm, ohne wegen seines Sieges zu triumphieren. Auf seine Weise sorgte er sich um Monk. Er befürchtete, dass der Ältere einfach nicht dafür geeignet war, in den gefährlichen Gassen und Docks seines neuen Gebiets auf sich zu achten. Am Fluss herrschte eine strenge Hierarchie, und Monk ließ zu, dass seine Position an Wert verlor.
    »Ich werde sie mir zur Brust nehmen«, versprach Monk entschlossen.
    »Sie müssen auf Pearly Boy aufpassen.« Scuff blickte zu ihm auf. »Ich selber hab’s nie mit ihm zu tun bekommen. Hab immer drauf geachtet, ihm nich’ übern Weg zu laufen. Aber ich hab gehört, dass er dir vornerum unheimlich schöntut und dir von hinten die Kehle aufschlitzt, wenn du nich’ hinschaust.«
    Monk lächelte. »Du hast nicht gehört, was sie über mich gesagt haben, als ich normaler Polizist an Land war.«
    Scuff nickte, doch sein Gebaren verriet weiter äußerste Unruhe. Wollte er taktvoll sein? Hatte er Angst um ihn, am Ende gar Mitleid? Das schmerzte. Und Monk ließ tatsächlich zu, dass seine Besorgtheit um Durbans Ruf seine eigenen beruflichen Fähigkeiten untergrub. Es war höchste Zeit, dass er das änderte.
    »Ich werde vor Pearly Boy auf der Hut sein«, versprach er. »Aber ich muss mehr über ihn in Erfahrung bringen und ihn zugleich wissen lassen, dass der Umgang mit mir nicht leichter ist als mit Durban, und kein bisschen angenehmer.«
    Scuffs Schultern strafften sich ein wenig, und er schritt ein wenig forscher aus, doch eine Antwort gab er nicht.

6
    Monk konnte es nicht länger hinausschieben. Vor neun Uhr am nächsten Morgen stand er vor Rathbones Kanzlei und wurde von dessen Sekretär hereingelassen.
    »Guten Morgen, Mr. Monk«, begrüßte ihn der Angestellte leicht überrascht und mit sichtlichem Unbehagen. Zweifellos wusste er über vieles besser Bescheid, als er zu erkennen gab, selbst Rathbone gegenüber. »Sir Oliver ist leider noch nicht eingetroffen.«
    »Dann warte ich«, erwiderte Monk. »Es ist von einiger Bedeutung.«
    »Sehr wohl, Sir. Darf ich Ihnen in der Zwischenzeit eine Tasse Tee anbieten?«
    Monk bedankte sich für seine Aufmerksamkeit. Kaum hatte er sich gesetzt, schoss ihm die Frage in den Sinn, ob sich der Sekretär ebenfalls darum sorgte, dass sein Herr, dem er seit acht Jahren diente, in einer Art moralischem Morast feststecken und sein Leben eine Wendung zum Dunklen genommen haben könnte.
    Freilich steckten sie alle in einem Morast –

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