Galgenfrist für einen Mörder: Roman
Hund mit einem Nicken, dann wanderte sein Blick zu Hester und nahm einen fragenden Ausdruck an. Offenbar fiel es ihm schwer, zu glauben, dass sie tatsächlich die beiden begleitet hatte. Durch Suttons Auskunft zufriedengestellt, führte er sie in ein mit Zeitungen und Büchern vollgestopftes Zimmer, in dem er zunächst zwei Stühle freiräumen musste. An den Wänden stapelten sich ganze Stöße von weißem Druckpapier, und in der Luft hing ein penetranter Tintengeruch. Der kleine Mann ließ sich mit beträchtlicher Mühe auf ein Gebilde sinken, das sein eigener Stuhl sein musste.
»Ich hab das nicht gedruckt«, erklärte er ohne jede Vorrede. Seine Stimme war tief und dröhnend und seine Aussprache au ßerordentlich präzise.
Sutton nickte. »Ich weiß. Das war Pinky Jones, aber der ist tot. Sagen Sie Mrs. Monk bitte einfach, was drinstand, Mr. Palk.«
»Es ist aber nicht schön«, warnte Palk.
»Ist es wahr?«, mischte sich Hester ein, die sich bisher nicht am Gespräch beteiligt hatte.
»O ja, allerdings. Das wissen hier viele Leute.«
»Dann klären Sie mich bitte auf.«
Zum ersten Mal musterte Palk sie gründlich. Seine Miene verriet Neugier.
»Sie müssen verstehen, dass Mr. Durban ein Mann mit starken Leidenschaften war«, begann er. »Umgänglich an der Oberfläche, sogar lustig, wenn er wollte. Ich hab erlebt, wie er das ganze Zimmer zum Lachen brachte. Und großzügig konnte er sein. Aber manche Dinge lasteten ihm schwer auf der Seele. Dazu gehörte auch Mary Webber. Warum, das hab ich nie erfahren. Ich hab auch nie erfahren, wer oder was sie war, dass sie solche Anteilnahme bei ihm auslöste.«
»Er hat sie nie gefunden?«
»Das weiß ich nicht, Miss. Aber wenn seine Suche ohne Erfolg blieb, dann bestimmt nicht, weil er sich nicht genug bemüht hätte. Das Ganze fing an, als er in Ma Wardlops Haus ging. Das ist ein Bordell – mit ungefähr einem Dutzend Mädchen. Er hat sie gefragt, ob sie Mary Webber gesehen hätten.« Er schüttelte den Kopf. »Ließ einfach nicht locker, der Kerl, egal, was passierte. Schließlich hat Ma Wardlop gemeint, dass eines von den Mädchen was wüsste, und ihn zu ihrem Zimmer geführt. Er verhörte sie über eine Stunde lang, bis sie ihn anschrie. Da holte Ma einen Mann vom Zollamt, der zwei Häuser weiter wohnte. Ein richtiger Hüne.« Traurig presste er die Lippen aufeinander. »Der trat die Tür ein und erzählte später, dass er Durban in einer Position vorgefunden hatte, in der kein Polizist bei einer Hure angetroffen werden sollte. Aber was er genau damit meinte, hat er nie verraten. Sie behauptete, Durban hätte sich ihr aufgezwungen. Er dagegen sagte, dass er sie gar nicht berührt hätte.«
Hester schwieg. Bei ihrem Versuch, eine Erklärung zu finden, die Monk nicht entsetzen würde, sah sie nur eine hässliche Szene nach der anderen.
Palk schnitt angewidert eine Grimasse, doch es ließ sich nicht erkennen, ob seine Empörung Durban galt oder der Hure, die möglicherweise gelogen hatte. »Ma Wardlop sagte, dass sie den Mund über das alles halten würde und es klug von Durban wäre, wenn er es genauso machen würde. Nur meinte sie in seinem Fall gewisse Dinge, die er vielleicht irgendwann mal beobachten würde. Und er verstand genau.«
»Erpressung«, stellte Hester kurz und bündig fest.
Palk nickte erneut. »Er sagte, sie solle sich zum Teufel scheren und den Mann vom Zoll gleich mitnehmen.« Bei diesen Worten verriet Palk eine gewisse Zufriedenheit und verzog die Lippen zu einem Lächeln, bei dem er erstaunlich kräftige weiße Zähne zeigte. »Da drohten sie ihm, dass sie es nicht bloß in den Straßen, sondern auch in den Zeitungen verbreiten würden. Er entgegnete, dass er es mit dem Duke of Wellington hielte: ›Veröffentlicht das und seid verdammt‹. Er hatte nicht vor, sich den Mund verbieten zu lassen, egal in welcher Sache.«
»Und weiter?«, drängte Hester, von Furcht und Bewunderung erfüllt. Sie hatte ein flaues Gefühl und wagte kaum noch zu atmen, als könnte das Geräusch Palks nächste Worte übertönen. Aber das war dumm! Durban war tot und spürte keine Schmerzen mehr. Dennoch nahm sie Anteil, und es bedeutete ihr viel, dass er den Mut gehabt hatte, sich gegen diese Leute zu stellen.
»Nichts weiter«, antwortete der kleine Mann, »bis er sie dabei ertappte, wie sie einen Freier ausraubten. Er steckte das Mädchen ins Gefängnis, und postwendend veröffentlichten sie die Geschichte mit ihm.« Seine Augen bohrten sich in die
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