Galgenfrist fuer einen Toten - Der 1 DOUGLAS BRODIE Thriller
Galgen.
Der Priester stand in seinem jungfräulichen Weiß mit Märtyrermiene vor mir, als wollte er sagen: Was konnte ich schon dagegen tun? Am liebsten hätte ich ihm den Wunsch, in die Kirchengeschichte einzugehen, auf der Stelle erfüllt und das weiße Gewand mit seinem vergifteten Blut besudelt.
»Also haben diese Männer Oberstaatsanwalt Campbell ins Jenseits befördert und ihn durch den gefügigen Allardyce ersetzt? Eine perfekte Lösung.« Plötzlich fiel mir etwas auf. »Woher wissen Sie das alles überhaupt, Connor? Inwieweit stecken Sie da mit drin?«
»Ich stecke – wie Sie es ausdrücken – überhaupt nicht mit drin! Patrick war mein Lehrer . Er hat sich mir lediglich anvertraut.«
»Aber wieso decken Sie ihn? Ich würde für meinen alten Lateinlehrer nicht so weit gehen!«
Er senkte den Blick und fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht, als wollte er sich von etwas reinwaschen. Eigentlich hätte ich Abscheu empfinden müssen. Aber ich verspürte lediglich ein Gefühl von tiefer Resignation, weil wir so unkontrolliert durch das eigene Leben getrieben wurden, ohne wirklich eine Wahl zu haben.
»Er hat sich Ihnen aber nicht im Beichtstuhl anvertraut, oder? Wohl eher im Schlafzimmer, was, Pater?«
»Sagen Sie nicht so etwas! Ich war doch der Einzige, an den er sich wenden konnte! Die Bürde, die er tragen musste, war zu schwer für einen einzelnen Menschen!«
»Eines können Sie mir glauben, Pater: Wenn Sie über diese Bürde bestens informiert waren und der Polizei nichts davon gesagt haben, stecken Sie tatsächlich selbst mit drin. Und Ihre Beziehung zu Pater Cassidy wird in allen schmutzigen Details vor Gericht zur Sprache kommen.« Obwohl ich den Eindruck hatte, er werde sich gleich übergeben, vielleicht sogar einen Herzinfarkt erleiden, setzte ich ihn weiter unter Druck. »Was ist mit Hugh Donovan? Gehörte das auch zu der ›Deckung‹‚ die Cassidy den Slatterys gab?«
Er zerrte am Strick seiner Kutte, als schneide der ihm ins Fleisch. »Das war Patricks tiefster Fall. Es machte ihn wahnsinnig. Slattery wollte einen Sündenbock, jemanden, dem man die Schuld für das Verschwinden der Jungen in die Schuhe schieben konnte. Donovan war drogensüchtig und abhängig von Gerrit, der ihn mit Stoff belieferte. Gerrit sah Donovan mit Rory Hutchinson zusammen und ließ den Jungen daraufhin entführen. Anschließend sorgte er dafür, dass Donovan das Beweismaterial für den Mord untergeschoben wurde.«
Er bemerkte meinen verächtlichen Blick.
»Donovans Leben war ohne jede Bedeutung im Vergleich zu Patricks Arbeit. Das müssen Sie doch einsehen!«
Die Wut stieg wie Galle in mir hoch. »Und ich dachte immer, euer Gott wäre für solche Urteile zuständig?« Ich hob das Gewehr und nahm O’Briens Kopf ins Visier. »Wer war es, der Hugh die Beweise unterjubelte?«, fragte ich leise.
Der Priester starrte mich an, als wäre ich tatsächlich die Inkarnation des göttlichen Racheengels. Vielleicht hoffte er es in diesem Moment sogar.
»Wer war es?«
Er schluckte. »Pater Cassidy.«
Der Wind fegte durch das Loch im Kirchenfenster herein, brachte die Falten des über die Kanzel gehängten Tuchs durcheinander und ließ die Kerzen aufflackern. Ich senkte das Gewehr, wandte mich um und ging davon. Meine Stiefelabsätze klackerten laut über den Holzfußboden.
»Was werden Sie jetzt tun?«, rief er mir hinterher. Ich drehte mich nicht um.
»Und was soll ich jetzt tun?«, brüllte er.
Ich zog die Kirchentür auf und trat in den kalten Abend hinaus.
45
Mit gemächlichem Tempo fuhr ich in das winzige Dorf Kildonan hinein, ließ dabei meine Wut verrauschen und versuchte, mein inneres Gleichgewicht wiederzufinden, um mich dem bevorstehenden Kampf stellen zu können. Doch es war vergebliche Liebesmüh. Ich spürte den wachsenden Druck in meinem Schädel, der Kopfschmerzen ankündigte, und eine Verzweiflung, als wiche sämtliche Lebensenergie aus meinem Körper.
Innerlich fühlte ich eine entsetzliche Leere. Die Geständnisse, die ich O’Brien abgerungen hatte, schlugen mir stärker als erwartet aufs Gemüt. Gab es denn nur noch Verdorbenheit und Sünde auf der Welt? Bei meiner ersten Begegnung mit dem Priester hatte ich geglaubt, ich könnte ihm vertrauen. Offenbar hatte ich die Fähigkeit eingebüßt, andere Menschen richtig einzuschätzen. Was er mir über Cassidy verraten hatte, war für mich nicht sonderlich überraschend gewesen. Aber die Beziehung zwischen ihm und seinem Amtsbruder ...
Je älter ich
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