Galgenfrist fuer einen Toten - Der 1 DOUGLAS BRODIE Thriller
Berufungsverfahren vor ihm.«
»Stimmt, aber Miss Campbell sagte mir, dass sie kaum etwas Neues zu seiner Entlastung vorbringen kann.«
»Deshalb hat Hugh mich wohl auch hierherbestellt.«
»Und? Besitzen Sie Möglichkeiten, ihn zu entlasten, Brodie?« Seine wachen Augen musterten mich aufmerksam.
Ich schüttelte den Kopf. »Allerdings gibt es Dinge, die nicht schlüssig sind.« Ich führte die Kluft zwischen dem Zeitpunkt des Verschwindens und des Todes von Rory an. »Nur fehlen mir eindeutige Beweise. Deshalb versuche ich, mit sämtlichen Bekannten von Hugh zu reden und herauszufinden, ob sie etwas über seinen Verbleib in der fraglichen Woche wissen.«
»Ist inzwischen ja schon eine ganze Weile her.«
»Ich weiß, aber das ist der letzte Strohhalm, an den ich mich klammere.«
Er rieb sich das Kinn. »Es waren schwierige Tage. Fiona war außer sich. Ich habe die meiste Zeit mit ihr verbracht oder damit, draußen nach dem Jungen zu suchen. Wie alle anderen.«
»Sie kannten Fiona also auch?«
Er lächelte. »In dieser Gegend gibt es nicht besonders viele katholische Kirchen. Ja, ich kenne Fiona – und natürlich auch Rory – schon seit Jahren. Erst hat sie ihren Mann verloren und nun das.«
»Gottes Wille, Patrick, wie?«
Sein Lächeln fror ein. »Der Herr hat uns die Freiheit gegeben, eigene Wege zu gehen. Und das bedeutet, dass wir die Verantwortung für unsere Taten übernehmen. Aber wir müssen sie später vor ihm rechtfertigen.«
»Und wie hilft das unschuldigen Menschen wie Fiona MacAuslan? Entschuldigung, Fiona Hutchinson . Es war ja nicht ihre Schuld, dass ihr Mann im Krieg gefallen ist. Und auch nicht, dass ihr Sohn ermordet wurde.«
Er setzte sich aufrecht hin und fasste mit der linken Hand an sein Kreuz. »Wir können den Willen des Allmächtigen nicht erfassen. Manchmal erwächst aus großem Leid ein stärkerer Glaube.«
»Das wird ein wunderbarer Trost für Hugh Donovan sein, wenn man ihn am Galgen aufknüpft.«
Mir war gar nicht bewusst gewesen, wie sehr mich diese verdammte Geschichte aufwühlte. Ich empfand unbändige Wut. Darüber, dass man mich aus dem neuen Leben, das ich in London aufzubauen versuchte, herausgerissen und hierherbestellt hatte. Darüber, dass ich jetzt noch einmal in meiner Vergangenheit herumstochern musste. Dass man mir hier, in meinem alten Revier, den Spiegel vorhielt. Dass ich mit meinen 34 Jahren zwar eine großartige Ausbildung genossen hatte, aber mit gänzlich leeren Händen dastand – ohne Frau, ohne Kinder, ohne aussichtsreiche berufliche Position, ohne inneren Frieden. Und ich war auch wütend über das Selbstmitleid, das ich für mich empfand.
Einige Sekunden lang breitete sich peinliche Stille zwischen mir und dem Pater aus.
»Ich werde Ihnen auf jede mir mögliche Weise helfen, Brodie«, sagte er schließlich. »Nur ist mir nicht recht klar, wie ...«
»Fangen wir mit dem Drogendealer an, dem Mann, der Hugh zum Junkie gemacht hat. Haben Sie eine Idee, wo ich ihn finden kann?«
»Ich weiß nicht, wie er heißt. Aber Sie könnten es vielleicht in Hughs Stammkneipen versuchen. In den Pubs, in denen er häufig verkehrte. Doyle’s am Gorbals Cross. Oder im Mally Arms.«
»Was ist mit seinen Nachbarn? Mit den Leuten, die nach dem Mord auf so geheimnisvolle Weise abgetaucht sind? Wissen Sie, wo die Familie jetzt lebt?«
Er schüttelte den Kopf. »Sie waren keine Katholiken, ich habe sie nie kennengelernt. Aber leider ist wohl etwas passiert, was typisch für diese Gegend ist. Soweit ich weiß, gerieten sie mit der Mietzahlung in Rückstand.«
Ein kleiner Auslöser mit großer Wirkung. Wirft man einen Kieselstein in einen Teich, kann man zusehen, wie er kleine Wellen verursacht, die immer größere Kreise ziehen. Es braucht nicht viel, um die dünne Kette zu kappen, die das Leben mancher Menschen im Boden verankert. Und dann werden sie aus ihrer Umgebung herausgerissen und trudeln haltlos durch trübe Gewässer.
Ich schielte auf meine Armbanduhr. Vom Pater waren nur weitere Plattitüden zu erwarten. Hingegen würden die Pubs in einer halben Stunde öffnen. Und ich hatte eine glänzende Entschuldigung, mir eine ausgiebige Kneipentour zu gönnen.
12
Einerseits freute ich mich auf einen Drink, weil ich durch die Entwicklungen des Tages doch ein bisschen aus dem Gleichgewicht geraten war. Andererseits hatte ich kein gutes Gefühl dabei, eine von Hughs »Wasserstellen« zu betreten. Als ich vor dem Krieg fünf Jahre lang Dienst im Polizeirevier an der
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