Galgenfrist fuer einen Toten - Der 1 DOUGLAS BRODIE Thriller
einfielen. »Ja, und dann hättest du Butler, die dir den Tee servieren. Mit Torte und warmen Hefeteilchen.«
»Vergiss nicht die Sahne und die Erdbeermarmelade.«
Lange Zeit – jedenfalls kam es mir so vor – sahen wir einander lächelnd an und hingen unseren jeweiligen Gedanken nach. Ich fragte mich, was sie mit ihrer letzten Bemerkung zum Ausdruck bringen wollte. Dass sie sich wünschte, wir hätten uns niemals getrennt? Ich hatte sowieso nie verstanden, warum sie mich damals verlassen hatte, und sie auch nie danach gefragt. Wollte sie mir sagen, dass es ein Fehler gewesen war? Dass ich lieber um sie hätte kämpfen sollen, statt mich zurückzuziehen und fortzugehen? Aber so ein Geständnis nach all den Jahren? Falls es so gemeint war, empfand ich es in jeder Hinsicht als grausam. Zu grausam, um es einfach so zu schlucken. Ich kniff die Augen zusammen und wechselte das Thema. »Was Hugh betrifft ...«
Sie hinderte mich am Weiterreden. »Er hat’s nicht getan, Douglas. Das weiß ich ganz genau.« Sie setzte sich aufrecht hin und sah mich herausfordernd an, als rechnete sie mit Widerspruch. Doch wie hätte ich ihr widersprechen können? Einen Moment lang blitzte in ihren Augen der vertraute Trotz des Mädchens auf, das mein argloses Herz auf der Tanzfläche mit einem Pfeil durchbohrt hatte.
»Woher weißt du das?«
»So was hat er nicht in sich. Nicht Hugh.«
»Vielleicht hat er sich im Laufe der Jahre verändert.«
Sie schüttelte den Kopf. »Die Menschen ändern sich nie von Grund auf.«
»Leider kann man eine Verteidigung wohl kaum darauf aufbauen.«
Sie starrte mich eine Weile an. »Er hat mich gebeten, es niemals zu verraten ...«
»Was zu verraten?«
»Spielt jetzt eh keine Rolle mehr.«
»Sag’s mir, Fiona. Wenn wir ihn vor dem Galgen retten wollen, müssen wir nach jedem Strohhalm greifen.«
Sie musterte ihre Teetasse und suchte danach meinen Blick. »Hast du schon mal ein Foto von Rory gesehen?« Sie stand auf, ging zum Kamin hinüber, nahm ein auf Pappe aufgezogenes Schwarz-Weiß-Foto vom Sims und legte es vor mir auf den Tisch. Ich griff danach. Es zeigte einen kleinen Jungen mit dunklen Haaren, der breit und übermütig grinste.
Den Jungen, mit dem ich früher Soldat gespielt hatte.
27
Schließlich fand ich meine Sprache wieder. »Wusste Hugh es? Ich meine, bevor du ihn verlassen hast?«
Sie setzte sich wieder. »Hugh und ich haben uns ständig gestritten. Und dabei ging’s die Hälfte der Zeit um dich, Douglas Brodie, falls du’s unbedingt wissen musst. Hugh hat immer sehr viel getrunken – all das kostenlose Zeug von der Küferei. Schließlich haben wir uns getrennt und ich hab einen anderen, älteren Mann kennengelernt, Jimmy Hutchinson. Er war Witwer. Damals wusste ich noch gar nicht, dass ich schwanger bin. Jim und ich haben geheiratet. Er war ein guter Mann. Ich hab immer gedacht, dass er Bescheid wusste, was Rory betraf.«
Ich holte meine Zigaretten heraus und bot ihr eine an. »Hast du’s Hugh gesagt?«
Sie blies Rauch in die Luft. »Nein. Schlafende Hunde und so weiter ... du weißt schon. Dann kam dieser verdammte Krieg, und die verdammten Nazis haben mir meinen Jim genommen. Außerdem ... Na ja, du hast ja gesehen, was sie Hugh angetan haben.«
»Und als Hugh zurückkehrte, als du ihn wiedersahst, hast du’s ihm dann gesagt?«
Sie sah mich spöttisch an. »Das war gar nicht nötig. Als er Rory zum ersten Mal sah, war ihm alles klar.« Sie zeigte auf das Foto.
Für die nächste Frage ließ ich mir Zeit, denn sie war nicht leicht zu formulieren. »Und du glaubst nicht, dass er, auch wenn er wusste, dass er Rorys Vater war ...«
»Dass er es getan hat, um sich an mir zu rächen? Dass es eine entsetzliche Vergeltungstat war? Du hättest die beiden zusammen sehen sollen, Douglas. Und als Rory verschwand, ist Hugh völlig ausgerastet, sogar noch schlimmer als ich.«
»Aber warum, um Himmels willen, hat das bei Gericht niemand zur Sprache gebracht? Das hätte alles ändern können!«
»Glaubst du das wirklich? Du hast diese Polizisten nicht erlebt. Sie wollten Hugh um jeden Preis drankriegen. Außerdem ...«
»Außerdem was? «
Sie seufzte. »Hugh wollte nicht, dass es bekannt wird. Er meinte, es würde ihm nichts nützen und seine Lage womöglich sogar noch verschlimmern. Ein Vater, der seinem eigenen Sohn so etwas antut – ich bitte dich! Er ging davon aus, dass der Staatsanwalt die Geschichte völlig verdrehen würde, und zwar in die Richtung, die du ja auch
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