Galgenfrist fuer einen Toten - Der 1 DOUGLAS BRODIE Thriller
durchgeknallten Spinners, der mein früherer bester Freund gewesen sein mochte – oder auch nicht. Zwar hatte sie Hugh wiedergefunden, aber nur als armselige Version des Jungen, für den sie mich damals sitzen gelassen hatte. Was trieb mich zu diesem Besuch? Erotisch angehauchte Neugier? Wollte ich mich vergewissern, ob Fiona immer noch so schön wie früher war? Oder ob sie sich in eine verhärmte alte Jungfer verwandelt hatte, an die ich glücklicherweise nicht länger gebunden war? War ich womöglich sogar bescheuert genug, um anzunehmen, ich könnte jetzt, wo jede Konkurrenz aus dem Weg geräumt war, erneut mit Fiona anbändeln?
Völliger Schwachsinn.
Ich drückte mich vor all diesen heiklen Fragen, indem ich zuerst der Polizeiwache in der Tobago Street einen weiteren Besuch abstattete. Das automatische Lächeln des diensthabenden Polizisten am Empfang erstarrte, sobald er mich erkannte.
»Brodie höchstpersönlich«, stellte Alec Jamieson fest.
»Allerdings, Alec. Wie geht’s denn so?«
»Gut. Was kann ich für dich tun?«
»Ich möchte mit einem deiner Kumpels aus dem Ermittlerteam sprechen. Entweder mit White oder Kerr. Noch besser mit Silver. Möchte wissen, wie weit sie mit der Ermittlung im Mordfall Pater Cassidy gekommen sind.«
Alec verzog sein facettenloses Gesicht, um zu demonstrieren, dass er gründlich nachdachte. »Mordfall, sagst du? Da hab ich aber was anderes gehört. Hat sich umgebracht, der arme Teufel. Anscheinend war er ein bisschen neben der Spur, weißt du.«
Als ich das Revier kurz darauf verließ, verfolgte mich das schmierig-arrogante Lächeln des Kriminalbeamten Kerr wie die Grinsekatze aus Alice im Wunderland . Was die Polizei betraf, gab es keine Anzeichen für Fremdverschulden im Fall Cassidy. Genau das würden die Beamten auch gegenüber dem Untersuchungsrichter zu Protokoll geben. Ein tragischer Tod, Gott sei seiner Seele gnädig. Bla, bla, bla. Fall abgeschlossen. Und was die verschwundene Mrs. Reid und ihre Familie betraf: Es konnte ja Dutzende von Gründen dafür geben, dass wir sie zu Hause nicht angetroffen hatten. Die Glasgower Polizei sah ohnehin keine Notwendigkeit, sie zu verhören. Das Urteil war gefällt. Zeit für den Vollzug.
Jeder unserer Ansatzpunkte endete in einer Sackgasse. Immer wenn ich glaubte, etwas Konkretes in der Hand zu haben, entglitt es mir wie ein Aal. Ich gelangte zu dem Schluss, dass ich jetzt sowieso dermaßen pessimistisch drauf war, dass es auch nichts mehr schaden konnte, wenn ich mich den in mir spukenden alten Dämonen stellte.
Also ging ich den Weg zum Clyde hinunter und über die Alexandria Bridge in die Gorbals. Nach rund 20 Minuten stand ich vor Fionas Hauseingang, starrte zu den Fenstern hinauf und hoffte, dass sie nicht zu Hause war. Oder umgezogen, ohne eine Nachsendeadresse zu hinterlassen. Die löchrige Straße war notdürftig zusammengeflickt, das Pflaster aufgesprungen und der steinerne Torweg mit eingeritzten Botschaften übersät, mit denen die Beehive Boys ihr Territorium markierten. Überall stank es nach Pisse. Das war doch kein Ort für Fiona! Ihrer Familie in Kilmarnock war es finanziell zwar nie gut gegangen, aber in einer solchen Kloake hatte sie nie gelebt. Warum war sie nur so tief gesunken? Mit ihrer Anmut und ihren Hoffnungen war sie ausgerechnet hier gestrandet?
Ich stieg die Wendeltreppe hoch, wobei meine Schritte auf dem nackten Stein laut nachhallten, und blieb mit klopfendem Herzen vor ihrer Haustür stehen. Mein Puls raste, und das lag nicht nur an der steilen Treppe. Nachdem ich tief Luft geholt hatte, betätigte ich den Türklopfer. Nichts. Ich schluckte den Kloß in meiner Kehle herunter, klopfte erneut und hörte das leise Echo durchs Treppenhaus hallen. Halb enttäuscht, halb erleichtert wandte ich mich ab und wollte gehen. Gerade hatte ich meinen Fuß auf die erste Stufe gesetzt, da öffnete sich die Tür und eine Stimme rief: »Wer ist da?«
Ihre Stimme löschte all die vergangenen Jahre aus und zerriss mir das Herz. Ich drehte mich wieder um und nahm den Hut ab, damit sie mein Gesicht sehen konnte.
»Hallo Fiona.«
Sie schlug sich die Hand vor den Mund. Ihre Augen, ihre dunklen Augen, weiteten sich, als hätte ich sie geschlagen. Eine verwirrende Sekunde lang dachte ich, es handele sich um eine Verwechslung und ich wäre versehentlich bei ihrer Mutter gelandet. Nun ja, unsere letzte Begegnung lag immerhin 17 Jahre zurück.
»Allmächtiger! Bist du das, Douglas? Bist du’s wirklich?«
Ich
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