Galgenfrist fuer einen Toten - Der 1 DOUGLAS BRODIE Thriller
nickte und blieb wie ein Kind vor seinem zerfetzten Traumgebilde stehen. Ihre lange schwarze Haarmähne, die ihr früher anmutig über die Schultern floss, war mit stumpfer Schere auf Nackenlänge gestutzt worden. Ponyfransen zerschnitten die blasse Haut ihrer zerfurchten Stirn, Tränensäcke und Krähenfüße umrahmten ihre dunklen Augen. Es war, als hätte eine böse Fee Fiona verflucht und mit etwas bestäubt, das sie vorzeitig altern ließ.
Früher loderte ein Feuer in den frechen Augen, jetzt drückten sie nur noch Kummer und Sorge aus. Und wer war ich, ihr das zum Vorwurf zu machen? In der Wolljacke und dem weiten Rock wirkte sie nicht länger schlank, sondern geradezu ausgemergelt. War dies der geschmeidige Körper mit den Gliedmaßen einer Tänzerin, den ich früher in den Armen gehalten und eng umschlungen hatte? War von ihr wirklich mal eine Hitze ausgegangen, die mir die wehrlose Haut zu versengen schien?
In diesem ersten Moment des Wiedersehens fiel all meine Wut von mir ab, schwand jegliches nostalgisches Begehren. Ich empfand lediglich Mitgefühl mit dieser Fremden, die sich einige Züge des Mädchens ausgeborgt hatte, das ich einst gekannt hatte.
Sie schüttelte den Kopf und streckte die Hand wie eine Blinde aus, die sich den Weg ertastet. Ihre riesigen Augen füllten sich mit Tränen, sodass die Ringe darunter nur noch umso deutlicher hervortraten.
»Das ist zu viel, einfach zu viel ... Ich kann nicht, ich schaff das nicht ...«
Ich ging zu ihr hinüber, zog sie an mich und spürte dabei, wie sich ihre mageren Brüste gegen mich pressten. Innerlich weinte ich, weil das Schicksal ihr so etwas angetan hatte.
»Still, Fiona, es ist ja alles in Ordnung. Das bin nur ich, Douglas. Können wir miteinander reden? Wenigstens kurz?«
Zitternd löste sie sich von mir, holte ein Taschentuch aus dem Ärmel, tupfte sich die Augen ab und richtete sich kerzengerade auf. »Tut mir leid. Es ist einfach so viel passiert. Hätte nie gedacht, ausgerechnet dich wiederzusehen. Jedenfalls nicht hier und jetzt. Ich seh furchtbar aus, sieh mich nur an. Aber komm besser rein.« Sie zog den Rock glatt, schnäuzte sich die Nase und hielt mir die Tür auf.
Es war eine für die Gorbals typische Zweizimmerwohnung, die aus einer Wohnküche und der »guten Stube« bestand. An die Wand gerückt und durch einen zugezogenen Vorhang vom übrigen Raum abgetrennt musste darin auch das Bett Platz finden. Wir setzten uns an einen winzigen Holztisch, auf dem eine blau-weiß karierte Wachstuchdecke lag. Die Luft stank nach Nikotin. Auch als sich Fiona in der Küche zu schaffen machte und uns einen Tee kochte, baumelte eine Zigarette in ihrem Mundwinkel.
Während der Tee zog, schlichen wir wie die Katzen um den heißen Brei herum.
»Wie ist es dir ergangen, Douglas? Und was ist mit deinem Gesicht passiert?«
»Gar nicht mal schlecht. Das Gesicht? Das war eine Art Unfall beim Fischen. Und du? Wie schlägst du dich so durch?«
Doch schließlich half es nichts mehr: Ich musste das Thema anschneiden, das am wichtigsten war, auch wenn ich ihr damit wehtun würde.
»Ich kann dir gar nicht sagen, wie leid mir das mit Rory tut. Das ist einfach schrecklich.«
Erneut füllten sich ihre Augen mit Tränen. Sie schüttelte den Kopf, es fiel ihr offensichtlich zu schwer, darüber zu reden.
»Hör mal, ich erzähl dir am besten, wieso ich überhaupt in Glasgow bin. Hugh hat mich aufgetrieben und angerufen ...«
Sie hob die Hand, um mich zu unterbrechen. »Das weiß ich. Hab gehört, dass du dieser Anwältin hilfst.«
»Tut mir leid, Fiona ...«
»Ist schon in Ordnung. Du tust das Richtige.«
Verblüfft sah ich sie an, denn ich hatte eine völlig andere Reaktion erwartet: Wut und Vorwürfe, dass ich dem Mörder ihres Sohns half. Gelassen erwiderte sie meinen Blick.
»Ist das dein Ernst?«
Sie nickte. »Der arme Hugh. Was ist nur mit seinem schönen Gesicht passiert?« Immer noch schwammen ihre Augen in Tränen, aber sie zwang sich zu einem Lächeln. »Du und Hugh, ihr saht früher so gut aus. Hättet beim Tanzen jedes Mädchen haben können. Du könntest es immer noch.«
»Aber ich wollte nur dich.« Sofort bedauerte ich meine Worte.
Sie schüttelte den Kopf. »Douglas Brodie, du ahnst ja nicht, wie oft ich mir gewünscht hab, ich könnte die Zeit zurückdrehen. Hätte ich jedes Mal Geld dafür bekommen, könnte ich jetzt in Culzean Castle residieren.«
Ich musste lächeln, als mir unsere jugendlichen Tagträume vom schönen Leben wieder
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