Galgentochter
als ein Zaubermittel. Im September werden sich die ersten davon zeigen. Heute aber brauche ich eine Wurzel. Geh dorthin und grab eine aus. Die Wurzel selbst ist dick und knollig, meist sogar gespalten, und hat mehrere Seitenwurzeln, die beinahe einen ganzen Arm lang werden können. Bring mir ein handgroßes Stück, Mädchen. Mein Rücken schmerzt heute so, dass ich mich wahrlich nicht bücken kann.»
Sie gab dem Mädchen einen leichten Stoß, doch das Mädchen rührte sich nicht.
«Was ist noch?», fragte die Hebamme.
Das Mädchen sah zu den noch blütelosen Alraunepflanzen, dann zur Hebamme, dann zum Menschenfett. «Was habt Ihr mit all diesen Dingen vor?»
«Die Alraune ist, wie schon gesagt, eine Pflanze von solcher Kraft, dass ihre Wirkung oft für Zauberei gehalten wird. Ein Trank davon lässt Kummer und Sorgen vergessen. Auch Schmerzen vertreibt die Pflanze, deshalb habe ich immer ein kleines Fläschchen dabei, wenn ich zu einer Entbindung gehe. Ein einziger Tropfen in Bier oder Wein gegeben bewirkt einen tiefen, ruhigen Schlaf. Du siehst, ich mache nichts, was anderen Schaden zufügt.»
Das Mädchen nickte, ging hinaus in den Garten, grub nach der Wurzel, brachte sie zurück, zerkleinerte sie nach Anweisung der Hebamme, kochte dicken Sud davon, ließ ihn abkühlen und füllte ihn in kleine Fläschchen ab.
Am Abend ging das Mädchen abermals allein weg und blieb viele Stunden fort. Als sie wiederkam, wusch sie sich lange, ehe sie ins Bett ging.
«Wo bist du gewesen?», fragte die Hebamme sie am Morgen darauf erneut.
Das Mädchen lächelte fein, dann wurde alles an ihr seltsam steif. Der Blick wurde starr, das Gesicht verschlossen, ihr Mund wurde zum Strich, die Augen zu Schlitzen. Sie legte sich schützend die Hände auf die Brust, über ihr Herz, doch ihre Lippen blieben verschlossen.
Die Hebamme seufzte, doch sie fragte nicht weiter. Stattdessen hieß sie das Mädchen aus dem Keller ein wenig von den getrockneten und zermahlenen Tollkirschen holen. Das Pulver vermischte sie mit etwas von dem Menschenfett, füllte es in kleine Tiegel und schützte die Öffnungen mit einem Stück Leinen, um welches sie Hanf wickelte.
Am Nachmittag klopfte es an der Tür, und eine junge Städterin mit hochmütigem Gesicht trat ein.
Die Hebamme schickte das Mädchen in den Keller hinunter, doch dieses Mal verschloss sie die Tür nicht hinter ihr, sondern ließ sie einen Spalt weit offen. Das Mädchen verstand, verbarg sich dahinter und lauschte.
Die Städterin stand in der Küche, das weiße, gepuderte Gesicht mit den ausrasierten Stirnhaaren von einer mit Goldfäden bestickten Haube gekrönt. Ihre Augen waren mit einem Kohlestift umrahmt, die Lippen mit roter Paste bestrichen, desgleichen die Wangen. Man sah, dass sie von anderer Qualität war als die Paste, welche die Huren benutzten. An den Fingern trug die Frau zahlreiche Ringe aus purem Gold, an denen glänzende Steine blinkten. Ihr Kleid war aus rotem Samt, am Oberkörper eng und ab der Hüfte bis auf den Boden fließend. Das Oberteil war wiederum mit Goldfäden bestickt, unter den Schlitzen in den Ärmeln leuchtete reine Seide hervor. Im Ausschnitt trug sie ein Kreuz ganz aus roten Steinen.
«Hast du, was ich bei dir bestellte?», fragte die Städterin hochmütig und sah direkt an der Hebamme vorbei.
«Ja, Herrin. Ich habe alles, was Ihr wolltet.»
Die Hebamme kramte in der Truhe, holte ein braunes Tongefäß hervor und stellte es auf den Tisch.
«Ich hoffe, du hast dieses Mal sauberer gearbeitet als beim letzten Mal. Ich hatte Kopfschmerzen am nächsten Tag, und übel war mir außerdem.»
«Das gehört dazu, Herrin. Das Mittel beschert nicht nur erotische Träume und das Gefühl, fliegen zu können, sondern führt manchmal, wenn man zu viel davon genommen hat, zu einem Zustand, der einem Kater nach zu viel Branntwein ähnelt. So wie die Dämpfe des Bilsenkrauts zu einem Zustand führen, der dem großer Trunkenheit ähnelt, aber nicht mit Lallen und Taumeln verbunden ist, sondern mit großer Heiterkeit und stiller Freude, in dem alle Sinne viel schärfer arbeiten.»
Die Städterin verzog den Mund, sodass die Mundwinkel nach unten zeigten. «Schwatz nicht, Weib. Ich habe gemacht, was du gesagt hast. Wer weiß, welches Zauberkraut du untergemischt hast.»
Die Hebamme behielt ihr freundliches Gesicht. «Es gibt weder Zauberkräuter, noch vermag es der Mensch zu zaubern. Jede Pflanze wirkt auf eine bestimmte Art. Wichtig ist das richtige Maß.»
«Hältst
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