Galgentochter
du mich für dumm, Weib?», keifte die Städterin. «Ich habe genau gemacht, was du gesagt hast.»
«Dann nehmt dieses Mal weniger davon. Trinkt am nächsten Morgen einen Becher frisches Brunnenwasser auf nüchternen Magen und atmet an der frischen Luft tief durch. Dann wird Euch besser.»
Die Städterin zog die Augenbrauen hoch, doch sie erwiderte nichts. Sie nahm das Töpfchen, legte mehrere Münzen auf den Tisch, deren Wert das Mädchen nichterkennen konnte. Sie steckte das Töpfchen in einen Lederbeutel, der kostbar bestickt war, zog sich Handschuhe aus feinem, perlenbesetztem Stoff über die Finger und fügte hinzu: «Mein Bruder wird morgen zu dir kommen. Auch er will so ein Töpfchen. Sieh zu, dass du ihn gut bedienst.»
Die Hebamme schüttelte den Kopf. «Das geht nicht, Herrin. Ich muss das Kraut erst finden, muss einen Auszug herstellen und dann die Salbe daraus mischen. Das dauert mindestens zwei Tage.»
«Morgen in der Abenddämmerung», bestimmte die Frau, warf einen verächtlichen Blick auf die Einrichtung der Küche und ging.
Die Hebamme ließ sich seufzend auf die Bank sinken. Als die Kellertür knarrte und das Mädchen aus dem Keller kam, lächelte sie gequält.
«Hast du alles gehört?», fragte sie.
Das Mädchen nickte, fragte: «Was war in dem Töpfchen, welches Ihr der Städterin gegeben habt?»
«Schwarzes Bilsenkraut. Man kann es auf verschiedene Weise verarbeiten. Manche Gastwirte mischen Bilsenkrautsamen in das Bier, welches sie an die Gäste ausschenken, und leeren ihnen danach die Taschen. In der Heilkunde wird es verwendet, um Schmerzen zu betäuben. Ich mische es mit Menschenfett, welches auf die Haut aufgetragen wird, um erotische Träume hervorzurufen. Die Leute, die sich damit einschmieren, geraten in einen Traumzustand, der über die Maßen angenehm ist. Du hast neulich einen Trank aus Bilsenkrautblättern bereitet und bist allein vom Dampf in einen solchen Rauschzustand verfallen. Erinnerst du dich?»
Das Mädchen nickte, dann trat es zum Fenster, zeigte mitdem Finger in Richtung Garten. «Die hohen Pflanzen dort hinten. Ist das Bilsenkraut?»
«Nein», sagte die Hebamme. «Bilsenkraut habe ich nicht im eigenen Garten.» Sie lachte ein wenig. «Die Leute, weißt du. Es gibt so manchen, der Neid und Missgunst in sich trägt. Ich möchte verhindern, dass jemand mich eine Zauberin nennt. Schwarzes Bilsenkraut wächst am Waldrand, am Wege, an Mauern und Plätzen, genau wie Stechapfel und Tollkirsche. Wir werden gleich morgen früh danach suchen. Es wird dauern, bis der Auszug hergestellt ist. Du wirst mir dabei helfen, Mädchen.»
Die Hebamme sah hoch und strich dem Mädchen lächelnd eine Haarsträhne aus dem Gesicht. «Hast du Lust dazu?»
Das Mädchen nickte eifrig.
«Gut», erwiderte die Hebamme. «Du weißt schon, dass es sich hierbei um Geheimnisse handelt, nicht wahr? Wir werden jetzt in die Kirche gehen und den Abendgottesdienst besuchen. Danach wirst du mir vor dem Altar schwören, dass du dein Wissen niemals zum Schaden deiner Mitmenschen verwenden wirst.»
Wenig später liefen die beiden Frauen langsam durch die dumpfe Gasse. Die Hebamme hatte sich auf einen Stock gestützt und stöhnte bei jedem zweiten Schritt, denn der Regen hatte über den Tag nur wenig nachgelassen und war ihr in die Knochen gedrungen. Vom Fluss stiegen Nebelschwaden auf. Braun und träge lag er in seinem Bett wie die faulste aller Mägde.
Als sie auf der Höhe der Kirche waren, in der das Mädchen so oft geschlafen hatte, griff sie nach der Hand der Hebamme. Doch die schüttelte den Kopf. «Du musst keine Angst haben. Dorthin», sie deutete mit dem Finger auf denBau, «musst du niemals mehr gehen. Ich bin sowieso beim alten Glauben geblieben, hab die Lutherischen nie verstehen können. Dem Herrgott scheint es auch so zu gehen: Der Pfarrer ist verschwunden, seine Schäfchen ohne Hüter. Und du, bist du eine Neugläubige?»
Das Mädchen schüttelte den Kopf, hob die Schultern, ließ sie wieder fallen.
«Wie auch immer», meinte die Hebamme. «Hauptsache, der Glaube an Gott ist da.»
Sie mussten die Wachen am Stadttor passieren, betraten dann nach wenigen Schritten die kleine Kirche, die für die armen Leute gedacht war. Die Hebamme betrachtete nachdenklich den Beichtstuhl, der schwarz und ein wenig drohend aus der Kirchenwand hervortrat. «Beichten sollt’ ich», sagte sie leise und stupste das Mädchen an. «Und es wäre besser, wenn auch du beichten gingest.»
Das Mädchen
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