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Galgentochter

Galgentochter

Titel: Galgentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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bringen würde.
    Hella warf ihr Kleid über, fasste das Haar im Nacken zusammen und befestigte eine Spange darin. Sie hatte die Schlafkammer gerade verlassen, als der Messingklopfer an der Tür betätigt wurde.
    «Heinz!» rief sie. «Ich mache auf.»
    «Gelobt sei Jesus Christus.»
    «In Ewigkeit. Amen. Komm herein, Torwächter.»
    Der Mann nahm sein Barett ab, folgte Hella in die Wohnstube. «Willst du einen Becher Wein?», fragte sie. Der Torwächter nickte und begrüßte dann den Richter.
    Hella hatte die Tür offen gelassen und hörte, während sie in der Küche den Weinkrug füllte, das Gespräch.
    «Nicht schon wieder, Torwächter. Weißt du, wie spät es ist?»
    «Herr Richter, ich kann nichts dafür. Auch mir kommen viele Dinge nicht recht.»
    «Also, was gibt es dieses Mal?»
    «Auf dem Galgenberg liegt ein Toter.»
    «Nein!»
    «Doch, Herr Richter.»
    «Hängt wieder ein Hund am Balken?»
    «Jawohl, Herr Richter.»
    In diesem Augenblick brachte Hella auf einem Tablett Weinkrug und Glas, goss dem Torwächter ein und setzte sich wie selbstverständlich in ihren Lehnstuhl.
    «Wer ist es?», fragte sie.
    Der Torwächter zuckte mit den Achseln. «Ein Pfarrer wohl. Einer von den neuen, lutherischen.»
    «Wer hat ihn gefunden?», wollte der Richter wissen.
    «Das ist es ja eben», entfuhr es dem Torwächter wie ein Seufzer. «Der Tagelöhner, der die erste Leiche gefunden hat, fand auch diese.»
    «Soso. Scheint ja ein Glücksknabe zu sein, der Tagelöhner. Was hast du mit ihm gemacht?»
    Der Torwächter knetete sein Barett. «Ich habe ihn eingesperrt.»
    Der Richter riss die Augen auf. «Warum das, guter Mann?»
    «Nun», stammelte der Torwächter. «Weil es mir merkwürdig erschien, dass immer der Tagelöhner die Toten findet. Einmal am Morgen, einmal am Abend. Vielleicht, so dachte ich mir, meldet er die Toten am Tor, weil er den Verdacht so am leichtesten von sich weisen kann.»
    Der Richter nickte. «Deine Gedanken sind nicht die dümmsten.»
    Von draußen drang die Stimme des Nachtwächters bis in die Wohnstube des Richterhauses.
    «Zehn Uhr schon?», fragte der Richter verwundert und sah auf die Stundenkerze, welche auf dem Kaminsims stand und ebenfalls die zehnte Stunde anzeigte.
    «Da können wir heute nicht mehr viel machen, Torwächter. Am besten ist es, du postierst dich vor dem Galgenfeld und passt auf, dass nichts dort draußen verändert wird.»
    «Und das Mainzer Tor? Der Rat der Stadt hat verboten, dass es geschlossen wird. Der Rat der Stadt hat ebenfalls verordnet, dass das Tor stets von zwei Wächtern besetzt sein muss.»
    «Du hast recht, guter Mann. Dann geh zu deiner Arbeit. Ich werde meinen Knecht zum Galgenberg schicken.»
    Der Torwächter trank den Wein, bedankte sich artig, wünschte eine gute Nacht und verschwand.
    Hella hatte unterdessen an die Kammer des Knechtes gepocht, die im obersten Stockwerk neben der Kammer der Magd untergebracht war.
    Verschlafen öffnete der Mann. «Was ist, Herrin? Wie spät ist es?»
    «Der Richter wird es dir sagen. Beeil dich und komm herunter.»
    Wenig später stand der Knecht mit zerwühltem Haar und schlafroten Wangen vor seinem Herrn. «Ich? Allein? In der Nacht? Unter dem Galgen?», stieß er mit seltsam hoher Stimme hervor, als der Richter seinen Auftrag erteilt hatte.
    «Ja. Du. Allein. In der Nacht. Unter dem Galgen», bestätigte Blettner.
    Der Knecht trat einen Schritt zurück und schüttelte den Kopf. «Niemals!» Er kreuzte die Zeigefinger beider Hände vor seinem Gesicht, als wolle er den Teufel abwehren.
    Der Richter zog verwundert die Augenbrauen hoch. «Warum denn nicht? Du kannst dir Decken mitnehmen, Schaffelle, Branntwein, was auch immer. Es hätte dich schlechter treffen können.»
    Der Mann schüttelte den Kopf und hielt noch immer die Finger gekreuzt. «In der Nacht geht der Teufel am Galgen spazieren, heißt es», flüsterte der Knecht. «Er fängt die Seelen der Verbrecher ein.»
    «Das ist doch töricht», fuhr der Richter auf. «Wer hat dir denn dieses Ammenmärchen erzählt?»
    Der Knecht riss entrüstet die Augen auf. «Ammenmärchen? Das ist kein Ammenmärchen! Die ganze Stadt weiß davon.»
    Der Richter winkte ab. «Wie dem auch sei. Sag meiner Frau, was du benötigst, und dann scher dich.»
    Widerspenstig schüttelte der Knecht den Kopf, verschränkte nun trotzig die Arme vor der Brust. «Ich gehe nicht! Meine Seele ist heilig und soll heilig bleiben. Lieber lasse ich mich von Euch davonjagen, als auch nur eine Nachtstunde

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