Galgentod
würde. Dabei konnte »etwas Entscheidendes« aber auch eine andere Richtung annehmen, nämlich dass sie sich nichts mehr zu sagen hatten. Und davor hatte er Angst. Darum drehten sich ständig seine Gedanken.
Er schaute auf Andrea, die »Mutti der Abteilung«. Sie weckte das Gefühl in ihm, sein ganzes Leben vor ihr ausbreiten zu wollen – und das, weil sie ihn mehr durchschaute, als er sich selbst. Sowas war ihm noch nie passiert und er fühlte sich peinlich berührt. Aus Verlegenheit lachte er.
Sie erwiderte sein Lachen, trank von ihrem Sprudel und meinte: »Eigentlich wollte ich mit dir über Jürgen Schnur und die Staatsanwältin sprechen.«
»Oh.«
»Haben die beiden ein Verhältnis?«
»Ich weiß nicht mehr als du.«
»Das glaube ich dir nicht. Du hängst doch ständig mit dem Chef zusammen.«
»Dann hast du einen falschen Eindruck«, wehrte Erik ab. »Jürgen beichtet mir nicht, was er privat tut.«
Andrea schnaufte und lenkte ein: »Okay. Ich glaube dir.« Sie atmete tief durch und fügte an: »Ich bin einfach nur besorgt um ihn. Er ist der geeignete Mann für den Posten als Dienststellenleiter. Aber Kriminalrat Forseti kann ihm schaden. Jürgen wäre besser beraten, er würde seinen Vorgesetzten nicht unterschätzen.«
»Das tut er auch nicht. Nur, was tun, wenn die Gefühle mit einem durchgehen?«, wandte Erik ein und sah wieder Mirnas pralle Brüste vor seinen Augen hüpfen.
»Du solltest ihn nicht darin unterstützen, sondern ihn davon abhalten.«
»Und wie soll ich das machen?«
»Keine Ahnung«, gestand Andrea, lachte verlegen und trank wieder von ihrem Mineralwasser. »Weißt du, ich kenne Jürgen schon sehr lange. Er ist der Intelligenteste unter uns.« Als Erik sein Gesicht verzog, fügte sie hastig an: »Jürgen war auf der Uni und hatte mit dem Jura-Studium begonnen.«
»Begonnen?«
»Zunächst. Leider wurde seine Frau – damals noch seine Freundin – viel zu früh schwanger. Jürgen war pflichtbewusst, hat geheiratet und sich einen Job gesucht, um seine Familie zu ernähren. Später hat er auf der Abendschule das Examen nachgeholt. Warum er sich nach den Strapazen bei der Polizei beworben hat, das wissen wir nicht. Oder hat er inzwischen etwas dazu gesagt?«
»Ich wusste von Schnur bisher sehr wenig, stelle ich gerade fest«, gab Erik zu. »Woher weißt du das alles so genau?«
»Ich habe zur gleichen Zeit bei der Polizei angefangen wie er. Ich hatte die Stelle bekommen, weil damals ein neues Projekt ins Leben gerufen wurde, auch Frauen in den Polizeidienst einzustellen. Das war mein Privileg. Und Jürgens Privileg war sein Examen.«
»Interessant, mal etwas aus Jürgens Vergangenheit zu erfahren. Damit hat er immer ganz schön hinterm Berg gehalten«, gab Erik zu.
»Er gehört zu den bescheidenen Menschen, die es nicht für nötig halten, mit ihrer Bildung zu protzen«, erklärte Andrea und lächelte verträumt. »Ich war damals ganz schön verknallt in ihn. Vermutlich gerade deshalb. Aber er war ja sowas von verheiratet, als er zur Polizei kam.«
»Wie bitte? In unseren Jürgen Schnur verknallt?« Erik lachte.
»Klar! Wir waren auch mal jung.«
Erik gab zu, dass er nicht so weit gedacht hatte. Sofort entschuldigte er sich für seine taktlose Bemerkung und fügte schnell an, um von sich abzulenken: »Dafür, dass er mit einem Jura-Studium zum Polizeidienst gekommen ist, hat es aber lang gedauert, bis er endlich zum Hauptkommissar befördert worden ist.«
»Stimmt. Er hat sich viele Jahre nur auf seine Familie konzentriert. Dadurch ist ihm wohl so manche Chance auf Beförderung entgangen. Umso mehr wundert es mich, dass er jetzt seine Familie, für die er so viel auf sich genommen hat, durch eine Affäre mit der Staatsanwältin riskiert.«
»Und nicht nur die Familie«, stellte Erik klar. »Seine Position ist auch gefährdet. Forseti ist ihm nicht wohlgesonnen, weil er selbst scharf auf Ann-Kathrin ist.«
Andrea schüttelte erschrocken den Kopf. »Als ich nach meiner langen Abwesenheit hierher zurückgekommen bin, war ich ganz schön schockiert, als ich gesehen habe, wer hier jetzt der Boss ist. Dieter Forseti muss wirklich gute Beziehungen haben, dass er von Wiesbaden nach Saarbrücken kommt und hier bei uns eine Blitzkarriere hinlegt.«
»Seinem Charme hat er das bestimmt nicht zu verdanken«, gab Erik zu verstehen.
»Vermutlich Beziehungen«, mutmaßte Andrea. »In solchen Ämtern wie dem Innenministerium geht es heutzutage doch nur mit Beziehungen.«
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