Galgentod
62
Der Schulhof war immer noch gähnend leer. Montagmorgen ohne Schulsorgen, reimte Günter Laug in Gedanken und lachte sich ins Fäustchen. Wie lange die Schüler wohl noch um die Lehrer trauerten, die ihnen im Grunde genommen egal waren?
Ihm konnte das nur recht sein. Er hatte den Schlüssel, der ihm den Zutritt in die Sporthalle gewährte, wo er außer Kampftrinken keinem anderen Sport frönte.
Mit Vorfreude und beschwingten Schritten schlenderte er durch die pralle Sonne am Sportplatz vorbei. Einige Baufahrzeuge und der Wohnwagen der Bauarbeiter standen noch am Rand des großen Platzes, dabei waren die Arbeiten schon lange beendet. Die Turnhalle selbst wurde von vielen Bäumen und Sträuchern auf der einen Seite eingerahmt. Die Sonne kam jedoch von der anderen. Diese Bauweise war Günter Laug schon immer ein Rätsel gewesen, denn so konnte die Sonne ungehindert durch die großen Glasscheiben eine unerträgliche Hitze in den Räumen der Turnhalle erzeugen. Zum Glück lag das Zimmer des Hausmeisters zur anderen Seite.
Die letzten Meter wurden für ihn die schwersten. Die Sonne brannte unbarmherzig und reflektierte die Hitze vom Asphalt. Er fühlte sich geblendet, dass alles vor seinen Augen schwarz flimmerte.
Plötzlich hörte er etwas.
Er zuckte zusammen, wich einige Schritte nach hinten aus. Hier durfte außer ihm niemand sein. Es war schulfrei. Und der Hausmeister entlassen.
Sein Herz schlug wie wild, während er sich im Schutz der braunen Hauswand der alten Turnhalle aufhielt. Der Mörder war gefasst. Das war die erste Nachricht, die er an diesem Tag aufgenommen hatte. Wer also konnte ihm noch auflauern?
Er reckte seinen Kopf um die Ecke, um zu sehen, ob sich jemand in den Hecken zwischen der alten und der neuen Turnhalle versteckt hielt. Aber er sah niemanden.
Was sollte er tun?
Nur fünf Meter lagen zwischen ihm und dem erlösenden Kühlschrank, der das köstliche Bier beherbergte.
Er rieb sich die Augen. Dann schaute er hoch und sah einen Schatten hinter der Hausecke der neuen Turnhalle verschwinden.
Sein Herz schlug wie wild. Er war tatsächlich nicht allein. Es dauerte eine Weile, bis sich seine Gedanken wieder beruhigten und er sich einen Plan zurechtlegte. Wenn er richtig gesehen hatte, hatte sich der Schatten vom Eingang entfernt.
Er lauerte, verharrte. Seine Nerven flatterten. Sein Durst wurde immer größer.
Lange hörte er nichts mehr. Wenn er hier nicht verdursten wollte, musste er sich etwas einfallen lassen.
Er schaute sich um. Nichts zu sehen.
Das war der richtige Zeitpunkt. Jetzt oder nie, dachte Günter Laug. Der andere war vermutlich längst verschwunden. Denn wer hielt es freiwillig in dieser Hitze aus? Mit großen Schritten steuerte er die gläserne Eingangstür an. Sie lag in einem Windschutz, der ihm Schatten spendete. So konnte er das Schlüsselloch sehen, ohne geblendet zu werden.
Plötzlich wurde es ganz dunkel.
Vor Schreck ließ Laug den Schlüssel fallen. Zitternd bückte er sich danach, als könnte ihn dieses kleine Ding noch retten, da spürte er schon eine Hand an seiner Schulter.
Sie riss ihn hoch und drehte ihn um.
Laug wollte gar nicht sehen, wer das war. Vermutlich hatte er die Nachricht vom gefassten Lehrermörder falsch verstanden. Seine Konzentration litt in letzter Zeit, was er der enormen Hitze zuschob.
Ein Ruck fuhr durch seinen Körper. Erschrocken riss er die Augen weit auf und starrte in das Gesicht von Manfred Dobler.
»Hey, alter Junge«, plärrte der Kollege mit Begeisterung in seiner Stimme. Seine Augen leuchteten mit seiner Glatze um die Wette. »Warum setzt du eine Miene auf, als ginge es dir gerade an den Kragen? Der Mörder ist gefasst! Wir sind in Sicherheit. Das ist doch ein Grund zu feiern.«
Günter Laug konnte in diesem Augenblick nicht die gleiche Freude empfinden. Viel zu viel Angst hatte er gerade durchgestanden. Am liebsten würde er den kleinen kahlköpfigen Mann ungespitzt in den Boden stampfen – aber dazu fehlte ihm leider die Kraft. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als ebenfalls Freude über den Ermittlungserfolg der Polizei zu zeigen. Dabei spürte er, wie seine Kehle mehr und mehr nach einem erfrischenden Bier dürstete. Hoffentlich würde Dobler schnell wieder verschwinden. Er durfte auf keinen Fall erfahren, was Laub hier wirklich wollte.
»Was willst du eigentlich in der Turnhalle?«, stellte Dobler die Frage, die Laug gerade befürchtet hatte. Aber zum Glück kam er nicht dazu, zu antworten. Das übernahm der
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