Galgentod
sich am Kinn. »Mit so einem Film wärst du erpressbar geworden. Aber du hast eine Entschlossenheit bewiesen, die ich dir hoch anrechne.«
Erik sollte sich jetzt besser fühlen. Nur warum gelang ihm das nicht?
»Hey, alter Junge«, rief Schnur plötzlich lauter. »Du bist aus dem Schneider. Du solltest dich freuen und nicht Trübsal blasen.«
»Ich mache Luftsprünge«, gestand Erik mit einem Elan, der jedem Faultier zur Ehre gereicht hätte.
»Du hast dich in dieser Angelegenheit korrekt verhalten, sodass wir Schlimmeres abwenden konnten«, sprach Schnur weiter, der Eriks Niedergeschlagenheit nicht verstand. »Und außerdem sieht alles danach aus, als hätten sich die beiden einen privaten Spaß erlaubt. Jetzt, nachdem wir Fred Recktenwald gefasst haben, können wir sicher sein, dass Mirna Voss nichts mit dem Fall zu tun hat.« Schnur überreichte Erik das Handy und fügte an: »Das kannst du Yannik Hoffmann zurückgeben, damit er nicht auf den Gedanken kommt, etwas wegen des fehlenden Handys zu unternehmen.«
»Mach ich«, murmelte Erik und erhob sich vom Stuhl.
»Was ist mit dir?«, fragte Schnur nachdenklich.
Erik schaute seinen Vorgesetzten und Freund eine Weile an, bis er seine Bedenken aussprach: »Einerseits freue ich mich, dass ich in dieser heiklen Angelegenheit aus dem Schneider bin.«
»Aber?«
»Andererseits bin ich mit der Auflösung unserer Lehrermorde nicht glücklich.«
»Warum?«
»Mir ist Mirnas Rolle bei dieser Angelegenheit nicht ganz klar. Irgendetwas hat sie mit diesem Video bezweckt. Mich erpressbar zu machen heißt doch, dass sie von mir etwas erzwingen wollte.«
»Und was glaubst du, was das sein könnte?«
»Dass wir Fred Recktenwald verhaften, was meine Zweifel an der Schuld dieses Mannes verstärkt«, antwortete Erik prompt. »Deshalb fühle ich mich wie eine Marionette in Mirnas Spiel.«
»Wie kommst du darauf, dass Mirna diesen Mann hinter Gittern sehen will?«
»Sie hat es mir selbst gesagt.«
»Dann hat sie ihn schon vor uns verdächtigt?«
»Genau das macht mir Sorgen.«
»Ach was! Du siehst Gespenster, weil dieses Weib deine Sinne verwirrt hat.« Schnur lachte.
»Hast ja recht«, gab Erik zu und wandte sich zur Tür. »Wenn ich sentimental werde, muss ich zum Frisör umschulen.«
»Gute Idee! Dann komme ich immer zum Rasieren.«
Kapitel 60
Selten saß Schnur sonntags an seinem Schreibtisch. Und doch saß er hier. Er fühlte sich bleischwer. Seine Gedanken kreisten um die Festnahme – um das gute Ergebnis ihrer akribischen Ermittlungsarbeit.
Aber er konnte sich nicht daran erfreuen.
Dabei erging es ihm genauso wie Erik, wenn auch aus anderen Gründen.
Ständig erinnerte er sich an die Vernehmung, die so gründlich versiebt worden war. Er hatte das Feld räumen müssen – freimachen für Dieter Forseti, der natürlich genau die Dinge angesprochen hatte, die sich Schnur für eine andere Gelegenheit hatte aufsparen wollen.
Für Schnur war der Fall nämlich alles – nur nicht klar.
Fred Recktenwald war ein Erfolg. Aber nicht seiner. Seine Empfindungen gegenüber diesem Mann waren so konträr, wie er es noch nie einem Verdächtigen gegenüber erlebt hatte. Einerseits ärgerte sich Schnur über seinen eigene Unvorsichtigkeit, sich mit der Staatsanwältin mitten in der Saarbrücker Altstadt zu treffen. Dort nicht gesehen zu werden, war ein Ding der Unmöglichkeit. Nur, dass es ausgerechnet Fred war, der sie beide nicht nur gesehen, sondern auch beobachtet hatte, das übertraf seine kühnsten Erwartungen. Niemals hätte Schnur für möglich gehalten, dass ein stiller, verunsicherter Mann wie Fred über den überfüllten Marktplatz der Saarbrücker Altstadt gehen würde. Aber jetzt war es zu spät. Der Verdächtige hatte Schnur auf eine Weise und zu einem Zeitpunkt bloßgestellt, wie es nicht ungünstiger hätte kommen können. Seine Glaubwürdigkeit war dahin. Und Forseti gehörte nicht zu der Sorte, die einen Lapsus großzügig übersah. Egal, ob der Fehltritt privater oder dienstlicher Natur war. Schnur hatte sich damit einen Fauxpas geleistet, der ihn mehr kosten würde als eine Vernehmung mit einem Hauptverdächtigen.
Auch Ann-Kathrin überlegte, den Fall an einen Kollegen abzugeben. Denn Freds Beobachtung musste nicht unbedingt in jedem Gerichtssaal erwähnt werden, der für den noch kommenden Prozess aufgesucht werden musste.
Zu Schnurs Schreck fiel ihm ein, dass ausgerechnet Forseti ein Auge auf die Staatsanwältin geworfen hatte. Mehr Wasser konnte
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