Galgentod
aus Saarlouis anfordern …«
»Geht nicht. Forseti hat mich bis zum Hals mit Arbeit eingedeckt«, fiel sie ihm ins Wort.
Vorbei der Augenblick der Zuversicht. Verärgert fragte er: »Welche Arbeit brummt er dir auf? Er ist nicht mehr der Dienststellenleiter. Hat er das vergessen?«
»Nein. Ich muss für einen Prozess, in dem Forseti aussagen wird, alle Unterlagen zusammensuchen und einen Bericht dazu schreiben. Da die Angelegenheit schon eine Weile zurückliegt, brauche ich ein bisschen Zeit, bis ich alles zusammen habe.«
Diese Antwort beruhigte Schnur. Hatte er doch tatsächlich angenommen, dass Forseti sich nun in seine Abteilung drängen und Schnurs Aufgaben übernehmen wollte. Da war Schnur wohl zu voreilig mit seinen Vorwürfen gewesen.
Eilig stürmte er in Esthers Büro und erklärte der Kollegin: »Im Jahr 1968 sind zwei Babys in Saarlouis vor der Kirche ausgesetzt worden.«
Staunend fragte Esther: »Was hat das mit uns zu tun?«
»Es könnte entscheidend für unsere Lehrermorde sein.«
»Aber unser Mörder ist Fred Recktenwald.«
»Immer nur das Offensichtliche glauben«, gab Schnur aufgebracht zurück. »Ist bequemer.«
»Was willst du damit sagen?«
»Als früher im alten Griechenland Blitze am Himmel auftauchten, hielt man sofort Zeus dafür verantwortlich«, sagte Schnur anstellte einer Antwort. »Und warum? Es war das Offensichtliche. Aber am Ende war die Lösung ganz anders.«
»Du glaubst nicht an Recktenwalds Schuld?«, fragte Esther verunsichert.
»Ich würde es so ausdrücken: Ich bin mir nicht ganz sicher. Aber um sicher zu gehen, müssen wir alles über die Babys herausfinden – wer sie waren, wer sie adoptiert hat, welche Namen sie vorher und welche nachher hatten und wo die beiden heute sind.«
Esther seufzte und machte sich an die Arbeit.
Schnur stürmte in sein Büro, riss das Fenster auf, um die stickige Luft des Tages raus zu lassen. Dann suchte er die Ordner heraus, die die Lehrermorde betrafen. Kullmanns Information machte ihm unmissverständlich klar, dass er irgendwo bei den Ermittlungen einen Fehler gemacht hatte.
Kapitel 66
Starke Schmerzen rüttelten ihn wach. Eriks Kopf dröhnte. Er wollte sich umschauen, konnte seinen Kopf nicht bewegen. Etwas an seinem Hals hinderte ihn daran. Er versuchte, danach zu greifen. Plötzlich wurden seine Hände gepackt und nach unten gedrückt.
Ein Gesicht tauchte plötzlich ganz dicht vor ihm auf. Das Gesicht eines Mannes mit blonden Haaren und einem Blick, der an Wahnsinn grenzte.
Wer war das?
Und überhaupt: Wo war Erik?
Er erinnerte sich nicht.
Oder doch?
Im Hintergrund sah er Sprossen an Wänden und Turngeräte. Er lag auf dem Boden der Turnhalle. Das nackte Wellblechdach, die Stahlstreben, die Fensterreihe direkt unterhalb der Decke, durch die trübes Licht hereinkam. Wie lange war er schon hier?
Er wollte sich erheben, doch der blonde Mann drückte ihn nieder und meinte hämisch: »Nix da, du Schwein! Hättest deine Finger von meiner Tochter lassen sollen.« Seine Augen funkelten ihn dabei siegessicher an.
»Tochter?« Erik stutzte. Sein dröhnender Schädel machte es ihm nicht gerade leichter, zu verstehen, wovon der Fremde sprach.
»Ja. Mein Kind hast du angetatscht, du Schwein.«
Erik glaubte sich im falschen Film. Hastig stammelte er: »Du hast den Falschen! Ich haben niemanden …«
»Ruhe!«, brüllte der Mann. »Außerdem hast du mich mitten in meiner Arbeit gestört.«
Erik stöhnte. Mirna Voss! Jetzt fiel es ihm wieder ein, wo er war und warum. Dieses Weib! Er war gewarnt worden, hatte aber nicht darauf gehört. Hatte es besser gewusst. Und jetzt lag er hier, einem Wahnsinnigen ausgeliefert. Ob es der Wahrheit entsprach, was dieser Kerl von sich ließ, konnte und wollte Erik gar nicht wissen. Trotzdem schlich sich ein weiteres Bild in sein Gedächtnis: Der Mathelehrer Günter Laug mit einer Bierflasche im Mund!
War das die Arbeit, bei der er diesen Wahnsinnigen gestört hatte?
Panik ergriff ihn. Er musste zusehen, wie er hier wieder heil herauskam. Er versuchte, seine Hände freizukämpfen, was jedoch mit höhnischem Gelächter honoriert wurde. Eriks Panik wandelte sich in Wut. Umso kraftvoller kämpfte er gegen seinen Gegner an.
Schon spürte er den nächsten heftigen Schlag – dieses Mal auf die Schläfe. Vor seinen Augen tanzten bunte Sterne, bis sie mit der Finsternis verschmolzen.
Kapitel 67
Überhastet zog Schnur den ersten Ordner aus dem Schrank, als könnte dieses Aktenstück etwas
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