Galgentod
dafür. Erst als ihm die Halterung darin abbrach und sämtliche Papiere in einem heillosen Durcheinander durch das ganze Zimmer flogen, erkannte er, wie blödsinnig er sich aufführte. Schlagartig war seine Wut verraucht und Verzweiflung machte sich in ihm breit. Er setzte sich auf den Boden und begann alles zu sortieren.
»Soll ich dir helfen?« Mit dieser Frage stand Esther in der Tür.
»Nein. Kümmere dich um die Adoptiv-Sache in Saarlouis.« Was Schnur für sich behielt, war die Absicht, dass er sich für seinen Fehler in dieser Ermittlungsangelegenheit selbst bestrafen wollte.
»Soll ich dir helfen?«
Schnur stutzte. Hatte er diese Frage nicht gerade erst gehört und beantwortet? Er schaute hoch und in das Gesicht von Andrea.
»Nein. Kümmere dich um die Angelegenheit von Forseti.«
Er blieb hartnäckig. Und darauf war er stolz.
Wenigstens etwas, worauf er stolz sein konnte. Denn sein Versagen bei diesen Ermittlungen beschäftigte ihn mehr, als er jemals vor seinen Mitarbeitern zugeben würde.
»Soll ich dir helfen?«
Langsam wurde es Schnur zu bunt. Wie oft musste er diese Frage noch hören. Dieses Mal stand Anton in der Tür. Fehlte also nur noch Erik.
Sich schon auf für das vierte Soll ich dir helfen wappnend, sortierte er weiter. Aber das vierte Mal traf nicht ein. Erst als der Ordner wieder aussah wie vor dem sinnlosen Wutanfall, erhob sich Schnur vom Boden und steuerte Eriks Büro an.
Leer.
»Weiß jemand von euch, wo Erik heute steckt?«
»Der hat heute frei.«
»Das geht nicht«, bestimmte Schnur. »Ich brauche hier jeden. Er muss seinen freien Tag verschieben.« Hastig nahm er sein Handy aus der Tasche und versuchte darauf die eingespeicherte Nummer des Mitarbeiters zu finden. Aber wie er erwartet hatte, fand er noch nicht einmal die Telefon-Funktion auf diesem kleinen komplizierten Gerät.
»Kennt jemand von euch Eriks Handynummer auswendig?«, fragte er.
Esther trat mit ihrem eigenen Handy auf ihn zu, drückte einige Tasten und hielt ihm die Nummer entgegen.
»Würdest du ihn auch bitte gerade anrufen, wenn du schon seine Nummer abrufbereit hast?«
»Was ist los mit dir?«, fragte Esther und drückte auf die grüne Taste zum Wählen. »Bisher dachte ich, deine Launen zu kennen. Aber seit deinem Telefonat mit Kullmann bist du unmöglich.«
Schnur funkelte Esther nur böse an.
Sie horchte eine Weile in ihr Handy und sagte dann: »Nichts. Nur die Mailbox.«
»Versuch es später noch mal«, befahl Schnur.
Esther wollte gerade in ihr Zimmer zurück, als Schnur sie aufhielt: »Hast du in Saarlouis etwas in Erfahrung bringen können?«
»Ach so. Stimmt ja.« Esther griff sich an den Kopf, drehte sich zu Schnur um und antwortete: »Das Jugendamt von Saarlouis hat keine Akten mehr aus dieser Zeit. Dafür habe ich einen Polizeikollegen aus Saarlouis an die Strippe bekommen, der schon sehr lange dort arbeitet. Er wusste sogar noch von dem Fall der beiden Kinder. Es waren Jungen, sagte er. Zwillinge.«
»So viel habe ich auch schon gewusst.«
»Er sucht die Akten, die bei der Polizei angelegt worden sind heraus. Er vermutet nämlich, dass sie dort noch etwas darüber haben.«
»Gute Arbeit! Und wann können wir mit einer Antwort rechnen?«
»Er wollte sich sofort auf die Suche machen.«
Zufrieden nickte Schnur, kehrte in sein Büro zurück und fing an, die Akten über die Lehrermorde zum wiederholten Mal durchzulesen. Je akribischer er alles las, umso schwerer fiel es ihm, sich zu konzentrieren. Er las und las und las und fand absolut nichts, was auf ein Versäumnis hinwies.
»Der Polizist aus Saarlouis hat sich gemeldet.«
Das war die Nachricht, auf die Schnur gehofft hatte.
»Und?«
»Er hat mir die Kopien der Akte zugefaxt«, begann Esther und fuhr fort: »Es waren tatsächlich zwei Jungen, die am 3. Juni 1968 vor der Kirche in Saarlouis in einem Korb gefunden wurden. An dem Korb war ein Zettel angeklebt, auf dem standen die Namen Ferdinand und Friedolinus . Und auch ein Hinweis, wer welcher sein soll. Außerdem waren die Babys gut eingewickelt, also so, dass ihnen nicht so schnell etwas zustoßen konnte. Aber es war deutlich, dass die Nabelschnur bei beiden nicht fachmännisch abgetrennt worden war. Die Baby sahen so aus, als seien sie irgendwo privat auf die Welt gekommen.«
Schnur rieb sich verzweifelt über sein Kinn.
»Damals wurde in sämtlichen Krankenhäusern nachgefragt – nirgends sind diese Zwillinge entbunden worden. Auch die Hebammen im Umkreis konnten nicht
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