Galgentod
wie elektrisiert. Das war es. Das war ein Volltreffer! Er spürte, dass dieser Hinweis seine gesamten Ermittlungen über den Haufen warf.
Zwillinge! War die DNA bei Zwillingen nicht identisch?
»Was weißt du über die beiden Jungen?«, fragte er hastig.
»Das musst du herausfinden. Für etwas wirst du ja bezahlt«, murrte Kullmann. »Wir wurden damals hinzu gerufen, um die Mutter der Kinder zu finden. Am Körbchen der Buben hing ein Schild, auf dem zwei Namen standen.«
»Welche Namen?«
Kullmann überlegte eine Weile und gab zu: »Sie wollen mir nicht mehr einfallen.«
Eine Weile herrschte Stille in der Leitung, bis Kullmann nachhakte: »Wie heißt der Hauptverdächtige in eurem Fall?«
»Fred Recktenwald.«
»So ein Mist«, schimpfte Kullmann mit sich selbst. »Es will mir nicht einfallen, welche Namen die Mutter für die Jungen aufgeschrieben hatte.«
»Kannst du mir sagen, wer die Mutter war?«
»Wir fanden sie, aber zu spät. Sie hatte sich in der gleichen Nacht das Leben genommen.«
Kapitel 64
Die Sonne schien auf sein Gesicht. Seine Decken waren weit fortgestrampelt, nackt und frei lag Erik da und gab sich dem trügerischen Gefühl hin, im Urlaub zu sein und an einem Strand zu liegen. Das einzige, was nicht so ganz in seine Schwärmereien passte, war der gedämpfte Verkehrslärm, der einfach nicht abreißen wollte. Trotz aller Bemühungen, die Geräusche als Meeresrauschen zu interpretieren, störte er sich doch an dem sich ständig wiederholenden Hupen, den knarrenden Mofas und dem aufdringlichen Tuten der LKWs im Rückwärtsgang.
Lange hielt er es nicht mehr aus. Er erhob sich, zog sich Boxershorts an und schlurfte die wenigen Meter in seine Kochnische, wo er die Kaffeemaschine bediente.
Während der Kaffee kochte, stellte er sich unter die Dusche. Das war für Erik schon immer die beste Gelegenheit zum Nachdenken. Das Rauschen des Wassers brachte Klarheit in seinen Kopf. Als würde das Wasser alle unnötigen Gedanken einfach fortwaschen.
Ach, wenn nur alles so einfach wäre.
Seufzend setzte er sich nach der ausgiebigen Dusche mit seiner Kaffeetasse auf den Balkon und ließ seine Lebensgeister nach und nach zurückkehren.
Fred Recktenwald war der Täter. Er war gefasst. Ein gutes Ergebnis, wenn man bedachte, welche Brisanz die Lehrermorde schon hatten.
Und trotzdem blieb das Gefühl, einen Sieg errungen zu haben, aus. Er schüttelte den Kopf und beschloss, nicht mehr über Fred Recktenwald nachzudenken. Jetzt war sein Tag. Er musste über sich selbst nachdenken. Das sollte ihm wichtiger sein.
Trotzdem blieb dieser grauhaarige, dünne Mann, der diese große Hilflosigkeit ausgestrahlt hatte, beharrlich in seinem Kopf.
Das Telefon klingelte.
Mit der irrationalen Hoffnung, es könnte Anke sein, kehrte Erik in seine kleine Wohnung zurück, steuerte das Telefon an und meldete sich.
»Gott sei Dank, dass ich dich erreiche«, schallte es schrill durch den Hörer.
Es war Mirna Voss.
»Was ist los?«, fragte Erik ungeduldig.
»Du musst unbedingt zu mir nach Saarlouis kommen«, lautete die Antwort.
»Mirna, was soll das?«, brummte Erik unfreundlich. »Ist dir nicht mal der Gedanke gekommen, dass ich von dir die Schnauze voll habe?«
»Erik, das meinst du doch nicht ernst?« Mirnas Stimme klang weinerlich. »Ich wollte dir doch nichts Böses. Wollte doch nur ein bisschen Spaß mit dir haben.«
»Ich verstehe unter Spaß etwas anderes.«
»Ist es dir also scheißegal, wenn mir etwas zustößt?«
»Was soll dir zustoßen?« Erik wurde ungeduldig. Er überlegte ernsthaft, aufzulegen.
»Ich bin am Max-Planck-Gymnasium. Yannik hat mich hier abgesetzt, weil ich dachte, dass heute der Unterricht wieder weitergeht. Aber es ist absolut niemand hier. Ich bin ganz allein. Ich habe Angst.«
»Vor wem?«
»Du weißt doch selbst, was hier alles passiert ist«, hauchte Mirna.
»Der Täter ist gefasst.«
»Na toll! Was macht dich so sicher, dass Fred wirklich der Täter ist?«
Erik erwiderte nichts. Was ging es Mirna an, wie er über das Ermittlungsergebnis dachte?
»Ich fürchte mich.« Das klang wie ein Flehen.
»Blödsinn!« Erik blieb standhaft. »Wenn sich hier einer fürchtet, dann ich mich vor dir.«
»Ich bin hier ganz allein an der Turnhalle. Ständig höre ich Geräusche, als sei noch jemand hier.« Nun ging Mirnas Stimme in ein leises Schluchzen über.
»Was tust du an der Turnhalle?«
»Ich habe Schatten gesucht. Aber genützt hat es mir nichts. Ich wollte mich gegen die Tür
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