Galgentod
hatte: »Erik lebt. Ich habe seinen Puls deutlich gespürt.«
Im gleichen Augenblick kamen Sanitäter und ein Notarzt mit einer Krankenbahre hereingelaufen. Sie steuerten zuerst den Mann auf dem Stuhl an. Den hatte Schnur in seiner Aufregung vergessen. Erst jetzt registrierte er auch den Geruch, der von diesem Mann schon ausströmte. Leichengeruch.
»Hier ist der Patient«, rief er. »Für den können Sie nichts mehr tun.«
Die Bewegungen, die folgten, wirkten gut einstudiert. Erik wurde auf die Bahre gehoben, mit einer Sauerstoffmaske versorgt und mit einigen Untersuchungsgeräten versehen. Mit all diesen Apparaten und mit bellenden Befehlen des Notarztes trugen sie ihn im Laufschritt hinaus.
»Wie geht es ihm? Wo bringen Sie ihn hin?« Schnur lief hinter den Sanitätern her.
»Er hat höchstwahrscheinlich einen Sauerstoffverlust erlitten«, sagte der Arzt. »Deshalb muss er sofort im Krankenhaus auf eventuelle Schäden untersucht werden. Überleben wird er, das ist mal klar. Wir wissen nur noch nicht, wie.«
»Wo bringen Sie ihn hin?«
»In die Elisabeth-Klinik, hier in Saarlouis.«
Das Martinshorn des Krankenwagens ertönte.
Schnur konnte von nun an nichts mehr tun, außer dem Krankenwagen hinterherzuschauen. Er fühlte sich so hilflos, dass er am liebsten hinterher gefahren wäre und an Eriks Krankenbett gewacht hätte. Aber das stand ihm nicht zu. In der Turnhalle hatte es noch ein Opfer gegeben. Darum musste er sich kümmern, obwohl er nicht wusste, ob er in der Lage sein würde, diesen Fall weiter zu bearbeiten.
Plötzlich tauchte Andrea neben ihm auf. Sie legte ihre Hand auf seine Schulter und befahl: »Hör auf, dir ständig vorzuwerfen, du hättest einen Fehler gemacht!«
Schnur grummelte nur mürrisch.
»Das hast du nicht. Kriminalrat Forseti hat dir den Fall abgenommen. Du hattest überhaupt keine Möglichkeit mehr, noch irgendetwas zu unternehmen. Forseti ist an dieser Scheiße schuld.«
Damit gelang es Andrea sogar, Schnur ein Lächeln zu entlocken. »Wie schön du das sagst. Damit könnte ich wirklich besser leben. Aber die Vorarbeit, alles, was zu dieser idiotischen Festnahme geführt hatte, kam von mir.«
»Von uns!« Wieder wusste es Andrea besser. »Trotzdem dürfen wir nicht vergessen, dass wir hier ein Mordopfer haben.«
»Wer ist es?«
»Günter Laug, der Mathelehrer.«
»Okay! Du wirst jetzt Erik ins Krankenhaus folgen und mich über jede Neuigkeit unterrichten.« Andrea nickte. Aber Schnur war noch nicht fertig: »Außerdem wirst du dafür sorgen, dass Erik rund um die Uhr bewacht wird. Sollte der Mistkerl erfahren, dass Erik noch lebt, könnte es sein, dass er sein Versäumnis nachholen will.«
»Du glaubst doch nicht …« Andrea schaffte es gar nicht, die Frage zu Ende zu stellen.
»Ich will nicht noch einen Fehler machen. Das ist alles.« Schnurs Lächeln wirkte verkrampft.
Er schaute der Kollegin nach, wie sie im Eilschritt die Turnhalle verließ, bevor er sich auf den Toten konzentrierte.
Günter Laug war mit Händen und Füßen an den Stuhl gefesselt. Der Kopf war nach hinten gebeugt. In seinem Hals steckte eine leere Bierflasche.
Dr. Thomas Wolbert, der Gerichtsmediziner war gerade angekommen. Auch er besah sich den Toten und meinte: »Wenn die Flasche voll war, als sie ihm in dieser Haltung in den Mund gesteckt wurde, dann ist er an der schnell hereinlaufenden Flüssigkeit erstickt.«
»Kein schöner Tod«, merkte Schnur an.
»Nein. Aber das sollte wohl in allen Fällen so sein«, merkte der Gerichtsmediziner an.
»Wie meinst du das?«
»Ich habe festgestellt, dass hinter dieses Todesfällen etwas Symbolisches steckt.«
»Etwas Symbolisches?« Schnur stutzte.
»Bertram Andernach sagte man nach, dass er seine Schüler bestrafte, indem ihre schlechten Leistungen zur Schau stellte. Und er wurde mit heruntergelassener Hose aufgefunden – eine Zurschaustellung also.«
Schnur konnte nicht widersprechen.
»Und Mathilde Graufuchs demoralisierte ihre Schüler, indem sie ihnen androhte, sie aus ihrem Gedächtnis zu streichen. Das Gleiche wurde mit ihr gemacht: Sie wurde auf der Teufelsburg gefesselt und vergessen.«
»Du solltest unter die Profiler gehen«, schlug Schnur ehrfürchtig vor und fügte an: »Und bei Günter Laug ist auch unschwer zu erkennen, worauf der Mörder anspielt. Wenn Friedolinus Kalkbrenner unser Mörder ist, dann hat er Günter Laug auch schon als Trinker erlebt und die Folgen des Suffs abgekommen.«
»Ich werde anhand der
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