Galgentod
Wahnsinnige aussprach, mehr bewusst, weil er nichts entgegensetzen konnte, nichts sagen konnte, nichts tun. Einfach nur aushalten und hoffen.
»Das ist dein Autoschlüssel. Einen schönen Wagen hast du. Da du den nicht mehr brauchen wirst, nehme ich ihn mit.«
Erik konnte nur ein leichtes Schnauben ausstoßen.
»Und dein Handy auch. Das könnte deinen Kollegen deinen Standpunkt verraten. Und da ich ja ein schlaues Kerlchen bin – was die dummen Lehrer zu spät erkannt haben – werde ich das irgendwo entsorgen. Ich will doch keinen Ärger haben.« Er lachte über seinen Witz.
Erik schloss verzweifelt die Augen.
Plötzlich hörte er ein lautes Kreischen. Er zuckte zusammen.
Scheiße!, dachte er. Damit hatte sich die Schlinge noch ein Stück mehr zugezogen. Hastig versuchte er, sie zu weiten. Es gelang ihm nicht.
Da hörte er, was seinen Schrecken ausgelöst hatte. Es war Mirnas Stimme.
Sie schrie: »Was soll das? Was tust du Erik an?«
»Halt die Klappe!« Das war die Stimme des vermeintlichen Zwillingsbruders, was Erik einfach nicht verstehen konnte. Lag es an seiner ausweglosen Situation oder daran, dass dieser Mann Fred Recktenwald gar nicht ähnlich sah?
»Der Kerl wollte dich vergewaltigen.«
»Du spinnst doch«, widersprach Mirna. »Lass Erik da runter, sonst …«
»Sonst was?« Friedolinus Kalkbrenners Stimme ging in Lachen über. Während Mirna unverständliches Zeug schrie, lachte der Mann immer wilder und verrückter.
Erik konnte vernehmen, dass sich die beiden entfernten. Es dauerte nicht lange, da hörte er eine Tür ins Schloss fallen und Ruhe kehrte ein.
Sie hatten ihn verlassen und hier in dieser mörderischen Position zurückgelassen.
Erik wurde schwindelig bei dem Gedanken. Wenn seine Kräfte nachließen, dann erhängte er sich selbst.
*
Als sie im Büro der Kriminalpolizeidirektion eintrafen, rief Anton aus einem Zimmer: »Ich habe etwas über die Mutter der Zwillinge herausgefunden …«
»Ich brauche nur Hinweise, die uns verraten, wo Erik stecken könnte«, fiel ihm Schnur ins Wort.
»Eben«, meinte Anton in einem so bestimmten Tonfall, dass Schnur aufhorchte. »Die Mutter war eine Maria Ladwein. Sie hat in dem Haus gewohnt, das heute Fred Recktenwald von der Stadt Saarlouis mietet.«
Diese Information brachte Schnur nun doch zum Staunen.
»Und außerdem hat sie dort ihre Babys entbunden. Das ist damals zweifelsfrei festgestellt worden, weil sie nach ihrer Entbindung nichts mehr weggeräumt oder saubergemacht hat. Sie hat die Babys zur Kirche getragen und den Rest wissen wir.«
»Okay! Ruft die Kollegen in Saarlouis an, dass sie das Haus in Picard inspizieren. Wir müssen jede Möglichkeit in Betracht ziehen.«, wies Schnur an.
Anton eroberte das Telefon.
»Infomiert sämtliche Polizeistationen über Eriks Verschwinden. Und erklärt auch gleich den Zusammenhang zu dem gesuchten Friedolinus Kalkbrenner.«
Diese Aufgaben übernahm Esther.
»Andrea, du fügst Eriks Autokennzeichen und alle Merkmale seines Autos bei, damit auch nach dem Wagen Ausschau gehalten wird.«
Andrea nickte.
Auf Schnur Schreibtisch klingelte das Telefon.
Alle erstarrten vor Schreck, als würde dieses Geräusch Unheil verkünden. Wie gelähmt standen alle im Flur und schauten ihrem Chef nach, wie er überstürzt an den Apparat hastete und abhob. Nach wenigen »Mmh« und »Hah« legte er wieder auf und berichtete: »Eriks Handy ist gefunden worden.«
»Wo?«
»In einem Müllcontainer in Beaumarais.«
»Worauf warten wir noch?«, fragte Anton.
Doch Schnur verstand es, seinen Eifer zu bremsen: »Du bleibst hier und koordinierst alle Daten und Angaben, die hier eintreffen, damit keine Wege umsonst gemacht werden. Esther, du bleibst bei Anton.« Auf das Murren der Kollegin fügte der Vorgesetzte an: »Das ist für den Fall, dass es neue Erkenntnisse gibt und ihr rausfahren müsst.« Diese Erklärung ließ Esthers Murren verstummen. »Andrea wird mich begleiten. Wir fahren nach Saarlouis und hoffen, dass der Ort, an dem das Handy gefunden wurde, ein Hinweis für uns ist.«
»Saarlouis?«, fragen Esther und Anton wie aus einem Mund.
»Beaumarais liegt genau zwischen Saarlouis und Picard.«
*
Die Ruhe empfand Erik als besonders schrecklich. Da waren ihm die gehässigen Bemerkungen seines Widersachers fast noch lieber gewesen, denn die hatten ihn von seinen zermürbenden Gedanken abgehalten.
Er spürte, wie seine Hände zu zittern begannen. Dabei machte er den Fehler, sich ständig auf das
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