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Galgentod

Galgentod

Titel: Galgentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Schwab
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Unterricht haben«, korrigierte Mathilde Graufuchs unhöflich. »Also tragen Sie mich bitte für den Mittwochnachmittag ein!«
    »Wird gemacht.«
    Ohne Gruß legte Mathilde Graufuchs auf.
    Fred versuchte, darüber hinwegzusehen. Aber das gelang ihm nicht. Er ärgerte sich über diese Frau. Aber egal, wie sich diese Burgführung entwickeln würde – und egal, ob die alte Hexe ihn bis dahin erkannte oder nicht, er würde ihr zeigen, wie es ist, wenn man aus dem Gedächtnis gestrichen wird.
    Fred lachte. Es war das erste Mal, dass ihm diese Floskel à la Mathilde Graufuchs gefiel.
    Wie aus heiterem Himmel schoss ihm der Name der Hauptstadt von Somalia durch den Kopf. Konnte es sein, dass die Graufuchs seine grauen Zellen in Schwung brachte?
    Ganz stolz schrieb Fred »Mogadischu« in die dafür vorgesehenen Kästchen.

Kapitel 22
    Der Anblick des leeren Schulhofes versetzte Jürgen Schnur in Staunen. Alles lag frei und offen da. Der eigentliche Schulhof war mit Tischtennisplatten ausgestattet, womit sich Schüler die Zeit in der Pause besser vertreiben konnte. Direkt daran angeschlossen war ein großer Sportplatz. Das ganze Gebiet lag genau zwischen Saaraltarm und fließender Saar. Zwei Seiten rahmten den Platz mit Bäumen und Sträuchern ein. Dort konnten die Schüler jederzeit das Gelände verlassen.
    Mit gemischten Gefühlen dachte Schnur an die Zeit zurück, als er selbst Schüler war Er hatte das Gymnasium Am Stadtgarten in Saarlouis besucht. Dort war der Schulhof ein Innenhof, umgeben von Schulgebäuden – ohne Angebote für die Schüler. Einfach nur ein düsterer Platz. Aber die Trostlosigkeit sollte sich weiter fortsetzen. Zu seiner Zeit waren die Jungen und Mädchen nicht einfach nur in getrennten Klassen untergebracht – nein, viel schlimmer! Sie besuchten getrennte Schulen. Der ganze Schulhof war übersät mit Jungen. Dabei war es für Schnur damals besser so, denn das Profiliergehabe unter den Schülern war auch so schon stark genug ausgeprägt. Ständige Raufereien standen an der Tagesordnung, bei denen Schnur immer schlecht weggekommen war. Sein Interesse hatte nie dem Sport oder dem sinnlosen Kräftemessen gegolten. Er vertiefte sich lieber in Bücher, um sein Wissen zu erweitern. Damals wie heute. Obwohl er ein guter Schüler war, hatte er niemals die Gunst der Lehrer erlangt. Seine Unbeliebtheit bei den Patriarchen hatte ihm so manchen Lebensweg erschwert. Dafür Sympathien unter den Klassenkameraden eingebracht. Über diese Zeit dachte er nur selten nach, weil es keine schöne Zeit war. Er beneidete die jungen Menschen nicht, die heute diesen Weg vor sich hatten.
    Ein Junge ging in angeregter Unterhaltung mit einem Mädchen über den Schulhof. Die beiden wirkten vergnügt und lachten viel. Ein Anblick, der damals auf einem Schulhof undenkbar gewesen wäre. Schnur schnaubte über die Spießigkeit, die damals noch in den Köpfen der Menschen geherrscht hatte. Die Mädchen gingen ins Robert-Schuman-Gymnasium – damals das Mädchengymnasium. Das Gymnasium Am Stadtgarten galt als Jungengymnasium. Heute achtete niemand mehr darauf, welches Geschlecht wo unterrichtet wurde. Heute waren die Schulen froh, wenn sie ausgelastet waren. Patriarchalische Traditionen waren ausgestorben. War das das Ergebnis der Achtundsechziger Bewegung?
    Unter diese Gedanken mischte sich das Bild des erhängten Lehrers. Schnur staunte darüber, welchen Weg seine Gedanken einschlugen. Vielleicht hatte er dadurch die Antwort auf die Frage gefunden, warum dem Lehrer die Hose heruntergelassen wurde. Als Protest gegen die erzieherische Haltung des Lehrers. Nach dem, was Schnur in Bertram Andernachs Wohnung gesehen hatte, war er nicht zimperlich mit seinen Schülern umgegangen. Seine Methode, den jungen Menschen alte Werte aufzuzwingen, könnte so manch einen verletzt haben.
    Der plötzliche Lärm, der sich in Sekundenschnelle auf dem Schulhof ausbreitete, riss Schnur aus seinen Gedanken. Es war große Pause.
    Die Schüler tobten mit einer Ausgelassenheit, um die Schnur sie beneidete. Er selbst fühlte sich bei der Hitze wie erschlagen. Schnell stellte er sich auf die Seite, um den jungen Menschen nicht im Weg zu stehen. Ältere versammelten sich in Grüppchen und diskutierten. Andere suchten sich verstohlen ein Plätzchen zum Rauchen. Die Jüngeren eroberten die Tischtennisplatten. Und vereinzelt tauchten Lehrer auf, die alles überwachten.
    Es dauerte eine Weile, bis Schnur den Mathelehrer Günter Laug das Gebäude verlassen sah.

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