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Galgentod

Galgentod

Titel: Galgentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Schwab
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Andernach den autoritären Unterrichtsstil praktizierte, ziehe ich den ›Laissez-faire-Unterrichtsstil‹ vor.«
    »Laissez-faire«, wiederholte Schnur und fügte an: »Bedeutet das nicht, dass der Lehrer den Schüler einfach gewährleisten lässt, was sich in Gleichgültigkeit durch den Lehrer ausdrückt?«
    »Nicht so negativ, Herr Kommissar!«
    »Hauptkommissar«, korrigierte Schnur.
    »Gut. Hauptkommissar. Mit meiner Unterrichtsmethode will ich die Individualität der Schüler fördern. Das nenne ich gute Vorbereitung für das spätere Berufsleben. Bei mir wird nichts diktiert und nichts vorgekaut. Bei mir wird selbständig gehandelt und mitgedacht.«
    »Und ich dachte immer eins und eins ergibt zwei«, konnte Schnur dazu nur sagen.
    »Da sehen Sie mal wieder.« Günter Laug lachte, wobei sein Gesicht sympathische Züge annahm. »Mathematik ist eine Wissenschaft, die selbst geschaffene abstrakte Strukturen auf ihre Eigenschaften und Muster untersucht. Das grenzt an Kunst und dazu gehört viel Individualismus.«

Kapitel 23
    Das Dorf Picard war ein Straßendorf, das sich in einer fast gerade Linie von Osten nach Westen erstreckte. In langsamem Tempo fuhren sie über die gut ausgebaute Dorfstraße und besahen sich die Häuser, die weit von der Straße zurückgesetzt standen. Die älteren davon waren ausnahmslos im Stil der lothringischen Bauernhäuser gehalten. Giebel an Giebel lehnten sie sich aneinander. Dazwischen stachen einige Neubauten hervor, wodurch die Einheitlichkeit unterbrochen wurde.
    Ein argentinisches Restaurant entdeckten sie zu ihrer Linken, eine Dorfkneipe zu ihren Rechten, ja sogar einen Boule-Platz – ein deutlicher Hinweis auf die Verbundenheit zum benachbarten Frankreich. Ein Schild zeigte ihnen den Weg zu einem »Taffingsweiher«.
    Direkt neben der Dorfkirche stand das Haus, das sie suchten. Es war kein Reihenhaus. Dafür zeigten sich Spuren der Vernachlässigung daran. Die hölzernen Fensterrahmen der kleinen Fenster wirkten porös, die Haustür an der Seite zeigte ebenfalls Spuren von Verwitterung. Der Putz an der Hauswand bröckelte. Die Regenrinnen rosteten. Umgeben war das Haus von dichter Vegetation.
    Sie stiegen die wenigen Stufen zur Haustür hoch und drückten auf den alten Klingelknopf. Tatsächlich hörten sie im Innern ein Schrillen. Aber nichts tat sich. Sie klingelten noch mal. Niemand öffnete.
    »Sollte eine Schülerin, die das Abitur nicht bestanden hat, allein in solch einem großen Haus wohnen?«, fragte Andrea in die Stille, die sich zwischen den beiden ausgebreitet hatte.
    Zum Antworten kam Erik nicht mehr, schon stand eine ältere Frau auf der Bürgersteig und rief: »Wer sind Sie? Und was wollen Sie?«
    Andrea trat auf die Dame zu, zeigte ihren Ausweis und beantwortete die Fragen. Mit ihrer Freundlichkeit gelang es ihr in Sekundenschnelle, das Misstrauen aus dem Gesicht der Frau zu zaubern.
    »Ach. Und ich dachte schon, hier wollte jemand auskundschaften«, gestand sie.
    »Gehört dieses Haus Mirna Voss?«
    »Eigentlich gehört es ihrer Oma. Aber die ist seit einigen Monaten im Pflegeheim untergebracht.« Mit einem bedauerlichen Nicken fügte sie an: »Alzheimer.«
    »Oh«, entfuhr es Andrea. »Das heißt also, Mirna lebt in diesem großen Haus ganz allein?«
    »Ja. Und das macht mir Sorgen.«
    »Sorgen?«, wiederholte Andrea stutzig.
    »Mirna ist ein junges hübsches Ding, das in allen Menschen das Gute sieht. Sie lädt jeden in ihr Haus ein, gibt sich mit jedem ab, ohne darauf zu achten, ob die Menschen es auch gut mit ihr meinen.« Die Dorfbewohnerin schüttelte verständnislos den Kopf.
    »Warum sollte es jemand nicht gut mit ihr meinen?«
    »Bei den Leuten, die sie anschleppt, muss man Angst um sie bekommen.« Eine empörtes Durchatmen, dann fügte sie an: »Fred Recktenwald lauert ihr manchmal auf. Der Mann könnte ihr Vater sein, so alt ist er. Welchen Grund sollte er also haben, sich mit Mirna abzugeben?«
    »Wer ist Fred Recktenwald?«
    »Der Nachbar.«
    Erik und Andrea schauten sich um, konnten jedoch kein Haus in direkter Nachbarschaft sehen.
    »Das Haus können Sie von hier aus gar nicht sehen«, erklärte die Frau auf die suchenden Blicke. »Das kommt noch dazu. Fred Recktenwald schleicht im Dorf herum wie ein Geist, versteckt sich in einem Haus, das von keiner Seite aus zu sehen ist. Jeder weiß, wo der Spinner haust. Aber Fred Recktenwald meint tatsächlich, er würde hier unerkannt leben. So verhält sich doch kein Mann mit einem guten

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