Galgentod
Andernach in Verbindung brachte. Denn sonst würde sie bestimmt keine Schulklasse von elfjährigen Kindern in seinen Vortrag schleppen. Die alte Hexe hielt sich für schlau, weil sie der Schule, in der ihr Kollege getötet worden war, aus dem Weg ging. Wenn sie wüsste …
Er lachte erleichtert auf und zerwühlte sich seine grauen Haare. Endlich wusste er, was zu tun war. Was konnte ihm schon passieren?
Er setzte seinen Weg fort. Sein Arbeitsplatz rückte immer näher, ein Anblick, der ihm guttat. Die alte Ruine hatte einen Langzeitarbeitslosen wieder ins Arbeitsleben integriert. Das sollte eigentlich auch ein Bestandteil seines Vortrages werden – die Geschichte der Teufelsburg, die er Tag für Tag seinen Gästen erzählte. Für ihn war sie schon ein Teil seiner eigenen geworden.
Der letzte Anstieg war steil. Er schnaufte laut nach Luft, die immer knapper wurde. Erst auf den letzten Metern fiel ihm ein, dass sich eine Gruppe aus Trier angemeldet hatte. Wenn das mal kein Glücksfall war. Als hätte er es schon immer gewusst, dass die Teufelsburg sein Schicksal war. Denn diese Leute hatten die Saarbrücker Zeitung bestimmt nicht gelesen.
Allerdings hatte sich die Gruppe schon zur frühen Stunde angemeldet. Er musste einen Zahn zulegen, obwohl ihm das an diesem steilen Berg nicht leicht fiel.
Kapitel 28
Laute Stimmen schlugen Erik entgegen, als er das Büro betrat.
»Was ist jetzt schon wieder los?«, fragte er Andrea.
»Jürgen hat einige Lehrer und Schüler zum DNA-Test vorgeladen. Sie sind alle freiwillig gekommen, was kein gutes Zeichen ist«, antwortete Andrea. »Deshalb warne ich dich. Unser Chef ist nicht gut drauf.«
Erik lachte und steuerte sein Zimmer an.
Dort schlugen ihm stickige Hitze und schlechte Luft entgegen. Er riss das Fenster weit auf und ließ sich auf seinen Stuhl plumpsen, der unter seinem Gewicht verdächtig knarrte. Den Lärm hatte er draußen gelassen. Nur gedämpft hörte er die Stimmen der Schüler, die sich alle ausgelassen anhörten. Die Unbekümmertheit gab ihm das Gefühl, dass sich niemand von ihnen große Gedanken um den Tod von Bertram Andernach machte. Was war der Lehrer für ein Mensch gewesen, wenn ihm niemand nachtrauerte?
Plötzlich wurde Erik von heftiger Schwermut ergriffen. Er schaute sich um. Die schlechte Luft, die Unordnung, die Stille – er fühlte sich allein.
Anke Deister fehlte ihm.
Die Erkenntnis traf ihn unerwartet heftig.
Anke, die Kollegin, die für ihn vielmehr war, eine Freundin, eine Gleichgesinnte.
Er rieb sich über die Augen und sah sie in einer Deutlichkeit vor sich, als würde sie vor seinem Schreibtisch stehen. Er hörte ihr herzhaftes Lachen, das ihn immer wieder mitreißen konnte, hörte ihre energische Stimme, die ihn beeindruckte. Er sah ihre dunklen Haare, die in der Sonne rot glänzten. Sah sie in ihren legeren Pullovern und Jeans und hörte sie sich dabei über ihre eigene Garderobe beklagen, als hätte ihr ein anderer gesagt, was sie anziehen soll. Ankes heimlicher Wunsch, eleganter zu sein, ein Bestreben, das Erik nicht an ihr verstand. Für ihn war sie elegant, schön – für ihn besaß sie alle positiven Attribute – für ihn konnte Anke gar nicht attraktiver werden.
Viele Abende hatten sie zusammen verbracht, hatten über Fälle diskutiert oder auch schon mal über private Dinge. Er hatte jede Minute mit ihr zusammen genossen. Mit ihr und ihrer Tochter Lisa. Doch dann wollte sie eine Weile im Ausland ermitteln, wollte neue Berufserfahrungen sammeln, als wäre dieser Schritt entscheidend für ihre Karriere. Kaum hatte sie den Entschluss gefasst, war sie verschwunden.
Ohne sich von ihm zu verabschieden.
Warum hatte sie das getan?
Hatte er mehr in ihre Freundschaft hinein interpretiert als sie?
Seit seine Frau in Köln mit dem Auto tödlich verunglückt war, hatte er zum ersten Mal wieder so etwas wie Liebe gespürt. Hatte sich gewagt, Gefühle wieder zuzulassen. Anke war die Frau, die sein Herz berührte.
Und gerade sie war es, die ihn einfach im Regen stehen gelassen hatte.
Er schüttelte den Kopf, musste diese Gedanken loswerden. Da war ihm das plötzliche Hereinplatzen seines Vorgesetzten gerade recht.
»Erinnerst du dich noch an die Youtube -Filme?«, fragte Schnur zur Begrüßung.
Erik nickte. Nur zu gut hatte er diese Bilder noch in seinem Kopf.
»Dort waren außer den Lehrern und Schülern keine Leute zu sehen, die nicht in eine Schule gehören.«
Erik nickte.
»Außer?«
»Mirna Voss«, antwortete
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