Galgentod
herausgefunden, dass einige Schüler den Machtspielchen von Bertram Andernach zum Opfer gefallen sind. Zum Beispiel die Schülervertreterin der Oberstufe Lara Ferringer. Ebenso der Schulsprecher Dominik Jost.«
Jetzt war es an Andrea zu staunen.
»Nach der Durchsicht der Unterlagen hat ein Kollege der SokoLehrer festgestellt, dass die beiden Schulsprecher eine Verlängerung einlegen müssen, bevor sie die Abi-Prüfung machen können, was sie den Fächern Deutsch, Geschichte und Mathe verdanken.« Er wühlte in den Papieren, die er mitgebracht hatte, bis er gefunden hatte, was er suchte, und rief aus: »Wusste ich’s doch, dass hier etwas nicht übereinstimmt! Esther und Anton haben mir von ihren Vernehmungen berichtet, aber kein Wort darüber verloren, dass die beiden durchgefallen sind. Also haben Lara Ferringer und Dominik Jost unabhängig voneinander diesen kleinen, aber äußerst wichtigen Sachverhalt verschwiegen. Das macht sie zu Verdächtigen.«
Kapitel 27
Sonnenstrahlen fielen auf sein Gesicht. Fred Recktenwald lachte. Die kitzelten in seiner Nase, dass er niesen musste.
Einen besseren Wecker gab es nicht.
Er streckte sich, seine übliche Morgengymnastik, zog sich an und ging die alte, knarrende Holztreppe nach unten. Auf seiner baufälligen Veranda herrschte kühler Schatten. Sie lag zur Westseite, bekäme also die Sonne erst am späten Nachtmittag ab, wenn sie es schaffen würde, durch die dichten Bäume und Sträucher hindurch zu scheinen.
Fred zog sich seine Anzugjacke an, weil er fröstelte.
Langsam streifte er durch seinen langen Garten, der in dieser Jahreszeit am schönsten aussah. Alles blühte in voller Pracht. Das Laub an den Bäumen schimmerte in allen Grüntönen. Die Hecken waren so dicht, dass er Mühe hatte, vorbeizukommen, ohne mit seiner Anzugjacke daran hängenzubleiben. Auf der Dorfstraße führte ihn sein obligatorischer erster Gang wie immer zum Nachbarhaus, in dem Mirna Voss wohnte. Seit sie ihre Großmutter im Altenheim untergebracht hatte, war sie nur noch selten zuhause. Oder wich sie ihm aus, seit er versucht hatte, ihr tollkühn zu helfen? Er hatte sich in ihr Leben eingemischt, weil er es nicht ertragen konnte, wie sie unter den Schikanen ihrer Lehrer litt. Aber damit hatte er alles nur verschlimmert. Er bereute schon lange, was er getan hatte.
Zum Glück hatte Mirna die Zeitung nicht abbestellt, denn sie steckte wie jeden Morgen im dafür vorgesehenen Zeitungsrohr. Er zog sie heraus und wollte losmarschieren, als ihm die Schlagzeile auffiel: »Wer hat den grauhaarigen Mann gesehen?«
Vor Schreck fiel ihm die Tageszeitung auf den Boden. Hastig bückte er sich danach, als er eine neugierige Stimme hörte: »Geht es dir nicht gut, Fred?«
»Doch, doch! Alles bestens«, antwortete er und winkte der Dame freundlich zu, damit sie nicht auf den Gedanken kam, noch weiter nachzuhaken. Mit hastigen Schritten bog er in den kleinen Seitenweg ab, der ihn zum Neubaugebiet führte. Er wusste, dass die alte Dame ihm bei dem Tempo nicht folgen konnte.
Zu gerne würde er den Bericht zu Ende lesen. Aber der Drang, aus Picard herauszukommen, war größer. Er überquerte die stark befahrene Metzer Straße und eilte auf den Feldweg zu. Seine Neugier trieb ihn so stark an, dass er den ganzen Weg im Laufschritt zurücklegte. Als er den kleinen Wald am Rand des Ortes Beaumarais erreichte, fand er endlich eine Gelegenheit, die Zeitung aufzuschlagen.
Der Artikel sprang jeden Leser förmlich an. Die Polizei suchte nach einem Mann mit grauen Haaren, der in der Mordnacht an der Schule gesehen worden war.
Fred musste sich setzen. Er schwitzte, obwohl es noch gar nicht so heiß war.
Wer hatte ihn gesehen? Er war doch so vorsichtig gewesen.
Er überflog den ganzen Artikel. Anschließend rieb er sich über seinen Kopf. Haare färben war der erste Gedanke, der ihm dabei kam. Aber das funktionierte bei ihm nicht. Wie oft hatte er es schon versucht. Seine Haare nahmen keine Farbe richtig an. Das Grau blieb hartnäckig.
Blieb nur noch eine Perücke tragen.
Aber … Er überlegte fieberhaft. Würde er sich damit nicht erst recht verdächtig machen?
Mit Entsetzen fiel ihm ein, dass an diesem Tag ausgerechnet seine ehemalige Geschichtslehrerin Mathilde Graufuchs mit einer Schulklasse kommen wollte. Ob sie in ihm den Mann erkennen würde, der von der Polizei gesucht wurde? Seine Gedanken überschlugen sich, bis ihm die Erkenntnis kam, dass Mathilde Graufuchs ihn nicht mit dem Mord an Bertram
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