Galgentod
Turban, andere Sonnenhüte und Sonnenbrille. Ein buntes Durcheinander herrschte in der prallen Mittagshitze, ein Anblick, der Jürgen Schnur sofort gute Laune vermittelte. Nur, wie sollte er unter diesen vielen Menschen die eine ausmachen, die er suchte?
Doch seine Frage war schnell beantwortet. Schon sah er einen Rotschopf, der in der Sonne leuchtete. Dazu einen Arm, der hektisch winkte. Mit schnellen Schritten ging er darauf zu.
Ann-Kathrin Reichert hatte einen Tisch vor dem Café Langenfeld im Schatten für sie freigehalten. Perfekter ging es nicht. Als er sich dem Tisch näherte, stand sie auf, nahm ihn in die Arme und küsste ihn überschwänglich. Schnur ließ sich diese stürmische Begrüßung nur zu gern gefallen – katapultiere sie ihn doch emotional in seine Sturm- und Drangzeit zurück, als er noch Junggeselle gewesen war.
Als sie sich voneinander lösten, fixierte sie ihn mit ihren grünen Augen und sagte: »So möchte ich meine Mittagspause öfter verbringen.«
»Ich auch.«
Sie setzten sich und suchten sich etwas von der Speisekarte aus.
»Ist unser Streit wieder beigelegt?«, fragte die Staatsanwältin, während sie auf das Essen warteten.
Schnur schaute sie eine Weile an und überlegte, bis er endlich antwortete: »Ich habe mich falsch verhalten und du hattest recht. Ist es das, was du hören willst?«
»Nein.«
»Was willst du denn?«
»Ich will nicht, dass unsere Beziehung schon nach kurzer Zeit Ehe-Charakter bekommt. Wir sind nicht verheiratet, also sollten wir uns auch so benehmen.«
Schnur gefiel dieser Vergleich. »Du bist so herrlich verdorben. Und das als Staatsanwältin.«
»Ich fühle mich geschmeichelt.«
»Ich gebe zu, dass mir deine Vertrautheit mit Forseti einen Stich versetzt hat. Da schaffe ich es nicht, locker zu bleiben.«
Ann-Kathrin schnurrte: »Eifersüchtig?«
»Und wie!«
»Das macht mich an. Schade, dass hier so viele Leute sind.«
»Schicken wir sie alle nach Hause.«
Ann-Kathrin brach in schallendes Gelächter aus. Als sie sich wieder beruhigte, meinte sie: »Hier klappt das leider nicht so gut wie auf deiner Dienststelle.«
»Erinnere mich bitte nicht an meine Arbeit«, murrte Schnur. »Denn es wartet noch ein leckeres Dessert auf uns.«
»Ich weiß. Die Gerichtsmedizin.« Sie lehnte sich vor und strich ihm über die Wange.
Schnur schmolz unter ihren Fingern.
»Warum rasierst du dir immerzu deinen schönen Bart weg? Ich finde, Rot steht dir, mein kleiner Barbarossa.«
Damit hatte sie ihn sofort wieder in die Realität zurückversetzt. Er richtete sich auf, als ihre Pizza serviert wurde.
»Während ich esse, überlege ich mir eine passende Antwort«, wich er aus, was Ann-Kathrin mit einem frechen Grinsen honorierte.
Ein Gitarrenspieler baute in einer Ecke sein Instrument mit einem Mikrophon auf und begann zu spielen. Hinzu kamen die sommerlichen Temperaturen, der strahlend blaue Himmel und das fröhliche Stimmengewirr. Auch der Anblick des im 19. Jahrhundert geschaffenen Stadtzentrums von Saarbrücken, das überwiegend aus Gebäuden des Frühklassizismus bestand, rundete das verträumte Bild ab. Die Saarbrücker Altstadt besaß den Charakter einer für den Tourismus herausgeputzten kleinen Insel inmitten der großen Stadt, was diesem Fleckchen einen besonderen Charme vermittelte. Kopfsteinpflaster, enge Gassen, viele kleine Cafés und Restaurants – all das verstärkte den Eindruck von mediterraner Atmosphäre.
Schnur fühlte sich rundum wohl – so gefiel ihm das Leben.
Während sie ihre Pizza aßen, warfen sie immer wieder verstohlene Blicke auf die Menschen um sich herum, die sich so ausgelassen gaben, wie man es nur im Sommer beobachten konnte.
»Unsere Mittagspause könnte ewig dauern«, schwärmte Schnur und spülte seinen letzten Bissen mit einem kühlen Bier hinunter.
»Stimmt. Die Aussicht auf eine halb mumifizierte Leiche könnte meine Laune ebenfalls trüben«, stimmte Ann-Kathrin zu.
»Schön, wie du das sagst«, murrte Schnur und bezahlte die Rechnung.
Kapitel 48
Fred Recktenwald stand am Saarbrücker Bahnhof. Der nächste Zug nach Saarlouis ging erst in einer Stunde. Das war eine lange Zeit. Zeit, in der er über alles nachdenken konnte. Und das viele Nachdenken machte alles nur noch schlimmer.
Hinzu kam der Fahrkartenschalter.
Ein Ticket aus dem Automaten zu ziehen wäre eine gute Sache gewesen. Aber er hatte nicht genügend Kleingeld. Also musste er zum Schalter gehen, sich dort in die Schlange stellen und geduldig
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