Galgentod
warten, bis er an die Reihe kam. Dabei fühlte er sich angestarrt. Die Blicke der Menschen bohrten sich in ihn hinein.
Sah man ihm an, dass er von der Polizei kam?
Ständig schaute er an sich herunter, konnte aber nichts Auffälliges feststellen. Auch einen Blick in den Spiegel wagte er. Sein Gesicht sah normal aus – wie immer. Keine Spur davon zu sehen, dass sie ihm mit einem Wattestäbchen im Mund herumgefuchtelt hatten. Wie auch? Er bildete sich nur ein, dass alle ihm ansahen, von wo er kam. Doch dann fiel sein Blick auf seine Fingerkuppen. Er erschrak. Sie schimmerten immer noch schwarz von dem Zeug, mit dem sie ihm die Fingerabdrücke genommen hatten.
Wie ein Brandmal!
Hastig rannte er auf die Bahnhofstoilette. Doch dort musste er fünfzig Cent einwerfen, um bis ans Waschbecken zu gelangen. Was nun? Der Weg nach Saarlouis war weit. Er musste mit dem Zug fahren. Trotzdem kamen ihm diese fünfzig Cent wie Wucher vor. Lieber kramte er ein Tempotaschentuch aus seiner Hosentasche und rieb sich damit über die Fingerkuppen. Je fester er rieb, umso besser ging die schwarze Farbe ab. Nach wenigen Minuten leuchten seine Fingerkuppen rot – aber nicht mehr schwarz.
So fühlte er sich besser.
Er atmete tief durch und ließ sich wieder das Bild dieses Kriminalkommissars mit der hübschen rothaarigen Frau durch den Kopf gehen. In enger Vertrautheit hatten sie zusammen an dem Tisch im Schatten gesessen – hatten ihn nicht bemerkt, obwohl er dicht daran vorbeigegangen war. Sowas nannte sich Polizei.
Fred lachte in sich hinein.
»Sie wünschen?«
Fred erschrak. Die Dame am Schalter rief ihn in die Gegenwart zurück. Schnell bestellte er sein Fahrticket, nahm das Kleingeld entgegen und eilte zum Bahnsteig.
Ansagen durch die Lautsprecher schallten über den großen Platz. Züge wurden angekündigt, und fast gleichzeitig ertönte das Quietschen von Stahl auf Stahl, während sie einrollten. Fred konnte die Ansagen nicht verstehen, weil sie viel zu verzerrt klangen. Er musste die Anzeigetafeln lesen, um seinen Zug nicht zu verpassen.
Aber eine Stunde blieb eine Stunde.
Verdrießlich kehrte er in die untere Etage zurück und suchte dort einen Imbiss auf. Nach Hamburgern stand ihm nicht der Sinn. Auch nicht nach Chinesisch. Zum Glück wurde an einem Kiosk auch normale Rostwurst angeboten. Mit dem Kleingeld, das er an dem Ticketschalter herausbekommen hatte, bezahlte er die völlig überteuerte Wurst und stellte sich an die Seite, um beim Essen die vielen Menschen, die herein- und herausströmten, beobachten zu können.
Seine Gedanken führten ihn unweigerlich wieder zu dem Gespräch mit dem netten Polizeibeamten. Sie tappten im Dunkeln. Sie ahnten, dass ein ehemaliger Schüler hinter den Taten steckte, konnten ihm aber nichts nachweisen.
Genau das hatte er vorausgesehen.
Er spürte einen Triumph, wie er es noch nie erlebt hatte. Ihm gelang es, die schlaue Polizei zu überlisten. Wer hätte das gedacht? Seine beiden ehemaligen Lehrer Andernach und Graufuchs bestimmt nicht. Der Tod dieser beiden Menschen fühlte sich befreiend an. Es hätte schon viele Jahre früher passieren sollen. Aber damals war Mirna Voss noch nicht in der Schule gewesen. Damals hatte niemand ahnen können, dass sie die gleiche schlechte Behandlung würde erfahren müssen wie er.
Jetzt konnte eigentlich nichts mehr schiefgehen.
Soweit Fred wusste, wollte Mirna einen neuen Versuch wagen. Recht so! Sie war intelligent, da brauchte sie das Abitur. Jetzt stand ihr nichts mehr im Weg.
Fred aß seine Wurst auf und kehrte zum Bahnsteig zurück.
Da fiel ihm ein Name ein, der sich als weiteres Hindernis für Mirna herausstellen könnte: Der Mathematiklehrer Günter Laug.
Und Manfred Dobler, den Englischlehrer durfte er nicht vergessen. Der kleine Glatzkopf, der seinen Mangel an Körpergröße gerne mit Bedeutung ausgeglichen hätte, was ihm aber niemals gelungen war. Auch diese beiden waren damals kein Deut besser als Bertram Andernach oder Mathilde Graufuchs gewesen. Laug war meistens schlecht gelaunt gewesen und hatte unausgeglichen gewirkt, was schon damals den Eindruck hinterlassen hatte, er könne Alkoholiker sein. Seine miese Laune hatte er am liebsten an Fred ausgelassen. Und Dobler hatte es sich zum Hobby gemacht, sich am Versagen seiner Schüler zu weiden, weil er sich dadurch neben ihnen größer fühlte. Neben Fred hatte er sich riesig gefühlt, dabei maß Dobler bestimmt zehn Zentimeter weniger.
Und, wenn Fred richtig informiert war,
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