Galgentod
Auto war gewaltig.
Im Spießrutenlauf zwischen den dicht zusammenstehenden Hecken hindurch näherten sie sich dem Haus. Das Buschwerk und die Bäume schafften es tatsächlich, die größte Hitze von diesem Fleckchen Erde fernzuhalten. Angenehme Temperaturen herrschten dort, die jedoch abrupt endeten, als sie auf die kleine, ungepflegte Veranda stiegen, um an die Haustür anzuklopfen.
Niemand öffnete.
Sie näherten sich dem benachbarten Teil des Hauses. Sie betätigten die Klingel. Aber auch dort öffnete niemand. Das Fenster neben der Haustür stand offen. Jedoch konnten sie sich nicht davorstellen, um hineinzusehen, weil es direkt über einem tiefen Kellereingang lag. Erik beugte sich so weit über die kleine Mauer, die die Treppe einrahmte, um einen Blick zu erhaschen. Das einzige, was er sehen konnte, waren Anzeichen dafür, dass dort jemand wohnte. Ein Tisch stand vor dem Fenster, auf dem ein Handtuch lag, das benutzt aussah. Mehr gab es nicht zu sehen.
»Was tun wir jetzt?«, fragte Andrea enttäuscht. »Schnur hat gut reden Bringt Fred Recktenwald hierher . Wo sollen wir ihn auftreiben?«
»Vielleicht ist er zur Teufelsburg gegangen«, spekulierte Erik. »Das ist sein Arbeitsplatz. Es könnte doch sein, dass er neugierig ist und wissen will, was die Polizei dort oben macht.«
Sie kehrten im Zickzackkurs zurück zum Auto, fuhren durch den oberen Teil des Dorfes Picard und stießen nach nur wenigen Kilometern auf die Metzer Straße, die sie nach Oberfelsberg zur Teufelsburg führte.
Im Sonnenschein sahen die Felder verträumt und schön aus. Das Korn war bereits abgemäht, die kurzen Stoppeln leuchteten gelb. Die Maisfelder standen in voller Pracht und schimmerten Dunkelgrün. Eine große Reitanlage tauchte auf. Pferde grasten auf den umliegenden Koppeln.
Sie durchfuhren Felsberg, erklommen den kurvenreichen Berg, bis sie rechts in einen schmalen Schotterweg einbogen. Der Eingang der Teufelsburg wurde von einem Polizeiposten streng bewacht. Der Kollege wirkte, als nehme er seine Aufgabe sehr wichtig, denn seine Haltung wurde sofort abwehrend, als Andrea und Erik sich ihm näherten. Erst als die beiden ihre Ausweise zeigten, entspannte er sich.
»War Fred Recktenwald heute Morgen schon hier?«, fragte Erik.
»Ja. Aber als ich ihn nicht reingelassen habe, ist er wieder gegangen.«
»Wie lange ist das jetzt her?«
»Bestimmt schon zwei Stunden.«
»Jetzt sind wir so weit, wie wir waren«, murrte Andrea. »In der Zeit könnte er überall hingegangen sein.«
»Eben nicht«, widersprach Erik. »Die Richtung, aus der wir gekommen sind, hat er nicht eingeschlagen, sonst wäre er uns begegnet.«
»Toll! Damit schließen wir eine von hundert Möglichkeiten aus.«
»Die Kollegen der Spurensicherung haben hier alle Wege nach Fußspuren abgesucht«, meldete sich der Kollege zu Wort, der den Eingang zur Teufelsburg bewachte. »Und dabei ist ihnen aufgefallen, dass die meisten Abzweigungen in Sackgassen führen, weil die Waldwege durch umgestürzte Bäume unbegehbar geworden sind.«
»Ja und?«
»Es gibt nur einen Weg, der hinunter ins Tal führt. Fred Recktenwald kann nur dort entlang gegangen sein.«
»Du bist gut, Kumpel«, rief Erik aus und ließ sich den Weg zeigen. Er stellte sich als schmaler Pfad heraus, der mit einem brüchigen Holzgeländer abgegrenzt war und zum Teil aus Stufen bestand.
»Ich muss Sie aber warnen«, fügte der Beamte grinsend an. »Wenn Sie den Weg runtergehen, müssen Sie ihn auch wieder hochgehen, um an ihr Auto zu kommen. Und ich kann Ihnen versichern, es geht steil nach unten.«
Erik nickte und schon begann er, die ersten Stufen des Abstiegs zu nehmen. Andrea folgte ihm unter Murren. Lange Zeit hörten sie nur den Wind, der in den Bäumen raschelte, die Vögel, die munter trällerten, und ihre eigenen Schritte begleitet von ihrem Schnaufen, bis Andrea rief: »Und was tun wir, wenn wir Recktenwald hier auftreiben?«
»Wir begleiten ihn nach oben«, antwortete Erik, dessen Abstand zu Andrea immer größer wurde.
»Kannst du bitte mal langsamer machen«, lautete Andreas nächste Frage.
»Als Tourenrennfahrerin müsstest du aber sportlicher sein«, frotzelte Erik.
»Das ist lange her. Heute bin ich Mutti mit Leib und Seele – und dazu die Mutti der Abteilung.«
Jetzt musste Erik lachen, was ihn zum Anhalten zwang. Er schaute der Kollegin zu, wie sie sich mühsam die Stufen hinab bewegte. Es war ihre Natürlichkeit, die ihn faszinierte. Nichts an ihr wirkte aufgesetzt,
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