Galgentod
Fred nicht mehr, schon hatte er sich durch die Hecken zur Straße »Kleinwies« durchgeschlagen. Zum Glück kannte er sich gut aus. Er steuerte das Grundstück direkt daneben an, als er hinter sich Schritte hörte. In seiner Panik stürzte er sich in die dichten Hecken und wartete ab.
Mit Taschenlampen leuchteten zwei Männer über die Straße.
Fred zitterte vor Angst. Wenn sie den Strahl in seine Richtung hielten, würden sie ihn sofort sehen können. Seine Angst wurde immer größer.
Doch dann warf der eine Mann den Lichtstrahl auf den anderen und Fred konnte erkennen, dass es Polizisten waren. Das hatte nichts Gutes zu bedeuten. Lange verharrte er ganz still und starr. Die Männer entfernten sich immer mehr, bis sich Fred sicher genug fühlte, um weiter durch das Gestrüpp zu robben. Dabei musste er tatsächlich an seine Kinderzeit denken, als sie dieses dämliche Spiel »Räuber und Gendarm« gespielt hatten. Damals hatte er immer verloren. Er kroch tiefer in die Hecken, machte sich ganz klein, in der Hoffnung, unsichtbar zu sein. Plötzlich erfasste ihn der grelle Lichtschein einer Taschenlampe. Frustriert senkte er den Kopf. Wie es aussah, hatte er schon wieder verloren.
Kapitel 58
Totenstille trat ein, als Fred Recktenwald begleitet von zwei Polizeibeamten der Bereitschaftspolizei am Sonntagmorgen die Flure der Kriminalpolizeiinspektion betrat. Die Beamten starrten auf den Hauptverdächtigen im Fall der beiden ermordeten Lehrer. Aber die erwartungsvolle Neugier wich schnell einem Gefühl der Enttäuschung. Fred Recktenwald sah nicht nur unscheinbar, er sah auch harmlos aus. Seine grauen Haare standen wild vom Kopf ab, das einzige, was verwegen an ihm wirkte. Anstelle des lächerlichen Anzugs mit den breiten Längsstreifen trug er ein T-Shirt und Jeans, worin er noch dünner wirkte. Die Unterarme bestanden fast nur aus Haut und Knochen.
Fred wurde in das Vernehmungszimmer geführt. Widerstandslos ließ er es mit sich geschehen. Unsicher wirkte sein Blick, den er auf den Boden richtete, um nur ja niemanden ansehen zu müssen.
Schnur, Andrea, Esther und Erik saßen im Raum daneben, dessen Wand zum Vernehmungszimmer durch einen Spiegel getrennt war. So konnten sie den Verdächtigen im Auge behalten, während sie sich beratschlagten.
Kriminalrat Forseti trat hinzu.
»Gute Arbeit«, lautete Forsetis Gruß. »Wir werden mit der Befragung warten, bis die Staatsanwältin dabei ist.«
Allgemeines Nicken war die Antwort.
»Solange können Sie mich bitte darüber unterrichten, was wir bis jetzt an Informationen über Fred Recktenwald haben.«
Jürgen Schnur wollte gerade zu sprechen beginnen, als die Staatsanwältin das Zimmer betrat.
»Das sind ja gute Nachrichten«, rief sie begeistert. »Ich kann es kaum noch erwarten, den Lehrer-Mörder kennenzulernen.«
Sie warf einen Blick durch die Scheibe. Alle beobachteten die rothaarige Frau gespannt. Das einzige, was sie sagte, war: »Oh.«
»Was heißt ›Oh‹?«, fragte Schnur.
»Das heißt, dass ich mir den Mann anders vorgestellt habe.«
»Wie? Mit krummer Nase, bösem Blick und langen Zähnen?«
Alle lachten. Nur Forseti nicht.
»Ich hätte einen kräftigeren Mann erwartet«, gab Ann-Kathrin zu.
»Wollen wir beginnen?«, drängte Schnur, rieb sich die Hände und betrat begleitet von der Staatsanwältin das Vernehmungszimmer.
Das erste, was Fred Recktenwald zu den eintretenden Beamten sagte, war: »Wer ersetzt mir meinen Anzug?«
Schnur setzte sich dem Mann zuerst einmal gegenüber und meinte: »So, wie die Dinge nun liegen, werden Sie für lange Zeit ihre Längsstreifen gegen Querstreifen eintauschen müssen. Sie brauchen Ihren Anzug also nicht mehr.«
Das ließ seinen ersten Anflug von Aufsässigkeit sofort im Keim ersticken. Schon fast hilfesuchend schaute er das Gespann Jürgen Schnur und Ann-Kathrin Reichert an.
»Sie wissen, warum Sie hier sind?«
»Nein.«
»Sie sind verdächtig, die Lehrer Mathilde Graufuchs und Bertram Andernach getötet zu haben.«
Schweigen.
Fred Recktenwald sagte kein einziges Wort dazu.
Verwirrt schaute die Staatsanwältin Jürgen Schnur an.
»Ich habe Sie beide gesehen«, erwähnte der Verdächtige stattdessen.
Sofort fühlten sich die Angesprochenen unwohl. Ann-Kathrin überlegte fieberhaft, wo er sie gesehen haben könnte, während Schnur inständig hoffte, dass Forseti nicht mehr auf der anderen Seite der Scheibe stand und zuhörte.
»Sie haben vor dem Langenfeld-Café gesessen«, sprach Fred Recktenwald
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