Galgentod
anders?«
»Nein. Du hast völlig Recht«, gab Fred zu und trank in hastigen Schlucken. »Es ist einfach kein gutes Gefühl, im Visier der Polizei zu sein.«
»Das bist du nicht mehr lange.«
»Was macht dich so sicher?«
Linus schaute Fred lange an, bevor er antwortete: »Weil du nichts getan hast. Einen Unschuldigen bringen sie nicht hinter Gitter.«
»Danke, Linus.« Fred war richtig gerührt. »Du vertraust mir bedingungslos. Es ist wieder wie damals – du hast schon immer zu mir gehalten.«
Linus honorierte Freds Worte mit einem Lächeln. »Damals«, sinnierte er. »Die gute alte Zeit.«
Wieder bestellte er Bier. Fred konnte schon nicht mehr zählen, das wievielte!
»Das Beste an dieser Zeit warst du«, stellte er klar.
»Klar! Ich habe immer die schlimmsten Streiche ausgeheckt.«
»Du hattest immer gute Ideen, wie wir die Lehrer reinlegen können«, lobte Fred.
»Erinnerst du dich noch, wie wir uns unter dem Lehrerpult versteckt und abgewartet haben, dass der Lehrer endlich diese lästigen Klassenkameraden hinauswirft?«, fragte Linus in Erinnerungen versunken.
»Und wie! Ich hatte hinterher eine Woche lang Rückenschmerzen.«
»Daran wollte ich dich nicht erinnern.«
»Sondern?«
»Daran, dass wir nur deshalb dem eingebildeten Klassenbesten die Hausaufgaben aus dem Ranzen klauen konnten. Das Gesicht, das der Schnösel gemacht hat, als es hieß, die Hefte abzugeben, werde ich nie vergessen.«
»Und dass ausgerechnet der Streber nachsitzen musste«, fügte Fred belustigt an.
»Dazu kam, dass der eingebildete Sack endlich mal eine schlechte Note bekam«, trug Linus genüsslich bei. »War das ein gutes Gefühl.«
Fred erinnerte sich an diese Zeit, als wäre es gerade erst passiert. Das war einer ihrer vielen Lausbubenstreiche, die irgendwann trotz aller Raffinesse aufgefallen waren. Das Ergebnis war fatal. Auf Mathilde Graufuchs’ Wunsch hatte Bertram Andernach eine Lehrerkonferenz abgehalten. Dort hatten sie beschlossen, Linus und Fred in unterschiedlichen Klassen unterzubringen. Das letzte halbe Jahr war für Fred zu seiner schwersten Zeit in der Schule geworden. Die Mittlere Reife hatte er dadurch nicht geschafft. Und das, obwohl sie ihrem Ziel schon so nahe waren.
Fred spürte wieder einmal, wie ihn die Erinnerungen beschäftigten. Dabei hatte er heute sein Leben im Griff. Warum also grämte er sich noch damit?
Er schaute auf, wollte etwas zu Linus sagen. Doch der war nicht mehr allein. Eine Frau stand neben ihm. Fred hatte nicht gesehen, wann sie gekommen war. Dafür sah er umso deutlicher, dass es für ihn Zeit wurde zu gehen. Die Innigkeit der Beiden ließ keinen Zweifel daran, wie für sie der Abend ausgehen würde.
Schnell trank Fred sein Bier aus und trat hinaus. Die Stühle auf der Terrasse waren alle hochgestellt. Er schaute auf seine Armbanduhr und staunte. Er hatte nicht bemerkt, wie die Zeit vergangen war. Zu angeregt hatte er sich mit Linus unterhalten. Schade, dass Linus so oft nach Rüsselsheim musste. Wenn es nach Fred ginge, könnte er immer hier bei ihm in Picard bleiben.
Seine Schritte waren anfangs leicht schwankend. Doch die Bewegung und die gute Luft machten seinen Kopf wieder klar. Mit jedem Kilometer, den er sich seinem Haus näherte, fühlte er sich sicherer auf den Beinen. Die letzten Meter legte er nicht wie gewohnt durch die Dorfstraße, sondern durch die hintere »Kleinwies« zurück. So näherte er sich seinem Haus von der Rückseite. In der Dunkelheit war es sogar für Fred fast unmöglich, den Schlupfwinkel in den wild wuchernden Sträuchern zu sehen. Mit langsamen Schritten ging er die Hecken ab, bis er das Loch entdeckte. Gebückt trat er hinein und schlich sich wie ein Dieb an sein eigenes Haus heran. Ein Lachen überkam ihn, weil ihm dieses Versteckspiel so gut gefiel.
Doch das Lachen verging ihm.
Vor seinem Haus sah er einen Schatten, der nicht dorthin gehörte. Er verharrte an seinem Platz und wartete. Der Schatten bewegte sich. Fred erkannte, dass ein Mann dort stand. Was wollte er hier? Wollte er Fred überfallen?
Der Mann drehte sich um und näherte sich ihm.
Freds Herz schlug ihm bis zum Hals.
Fast gleichzeitig hörte er ein Geräusch ganz dicht neben sich. Der Schreck fuhr ihm durch alle Glieder. Wie viele trieben sich auf seinem Grundstück herum?
Er schaute sich um und sah gerade noch, wie sich ihm eine schemenhafte Gestalt näherte. Er wollte den Fluchtweg antreten. Diese Bewegung verriet ihn.
»Fred Recktenwald …«, mehr hörte
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