Galgenweg
mehr bedauerte ich die beiden Mädchen, denen mit diesen oder vergleichbaren Händen solche Gewalt angetan worden war.
Williams begann die Vernehmung, indem sie ihn trotz seines anscheinend hieb- und stichfesten Alibis erneut nach Karen Doherty fragte.
»Das ist Quatsch, und das wissen Sie auch«, erwiderte er auf die Frage, wo er in der Nacht ihres Todes gewesen sei. »Nächste Frage.«
»Was ist mit gestern Nacht? Wo waren Sie gestern Nacht, Mr McDermott?«
»Ich war im Club«, sagte er, und mein Adrenalinspiegel stieg. Williams musste wohl das Gleiche empfunden haben, denn sie warf mir einen vielsagenden Blick zu.
»Was für ein Club?«, brachte sie mit ausgetrocknetem Mund hervor.
»Mein Boxclub. Hab ich Ihnen doch gesagt, ich trainiere. Sie können da jeden von den Jungs fragen. Die meisten haben Sie heute gesehen, als Sie mich mitgenommen haben.«
»Wann haben Sie den Club verlassen?«, fragte ich.
»Halb zwölf, so um den Dreh«, sagte er und zuckte mit den Achseln. »Warum? Was hab ich jetzt schon wieder getan?«
»Gestern Abend wurde ein fünfzehnjähriges Mädchen in Letterkenny tätlich angegriffen, Mr McDermott – vermutlich von derselben Person, die auch Karen Doherty getötet hat. Also, wo waren Sie, nachdem Sie den Club verlassen hatten?«
Sein Blick wanderte zwischen Williams und mir hin und her. Er wippte nun heftig mit dem Knie, seine Armmuskeln bewegten sich deutlich sichtbar, als er das Knie fester packte, der grüne Drache wand sich über seinen Unterarm, als wäre er lebendig. McDermotts Schultern schienen unwillkürlich nach vorne zu sacken, die Ellbogen presste er fest an den Körper, die freie Hand ballte und löste sich im selben Rhythmus, in dem er mit dem Knie wippte.
»Wollen Sie mich verarschen? Sie haben mich wegen einer Scheiß-Fünfzehnjährigen hergebracht?! Ich bin doch kein Pädo. Das ist ja wohl ’n Witz, verdammt. Besorgen Sie mir einen Anwalt.« Er verschränkte die Arme vor der Brust, die sich mit jedem heftigen Atemzug hob und senkte. Seine Kinnmuskulatur arbeitete, als kaute er auf etwas Hartem.
»Meinen Sie, Sie brauchen einen Anwalt?«, fragte Williams.
»Ja. Ich werd Sie wegen Freiheitsberaubung verklagen, Sie sind doch ein Haufen Scheiße.«
»Man hat Sie nicht festgenommen, Mr McDermott; Sie helfen uns bei unseren Ermittlungen.«
»Und warum sollte ich das tun, verdammt noch mal?«
»Weil sich hier jemand an jungen Mädchen vergreift. Jemand mit Ihrer Größe, Ihrem Profil, sogar einer Tätowierung, genau wie Sie eine haben. Und solange derjenige frei herumläuft, so lange stehen Sie unter Verdacht.« Dann fügte ich hinzu: »Mögen Sie Ihre Nachbarn?«
Argwöhnisch runzelte er die Stirn. »Warum?«
»Wissen Sie, was mit Leuten passiert, von denen bekannt wird, dass sie in der Sexualstraftäterdatei stehen? Glauben Sie, Sie sind dann noch lange willkommen?«
Er sprang auf und brüllte: »Sie haben nichts in der Hand. Sie haben einen Schei-« Er erhielt jedoch keine Gelegenheit, seinen Satz zu Ende zu führen, denn Caroline Williams hatte bereits ihren Schlagstock gezückt und ihn damit rasch aufs Schlüsselbein geschlagen. Dem ließ sie unmittelbar einen zweiten Schlag auf den oberen Rücken folgen, und der dumpfe Aufprall auf dem festen Muskelpaket war widerlich laut. McDermott krachte zu Boden und stieß dabei seinen Stuhl quer durch den Raum.
Unsicher rappelte er sich wieder hoch, sein Körper bebte sichtlich vor Zorn, Brust und Schultern hoben und senkten sich heftig. »Du beschissene Schlampe«, stieß er hervor.
Williams hatte bereits einen sicheren Stand eingenommen, die Beine ein wenig weiter auseinander gestellt, den Schlagstock erhoben; auch sie zitterte vor Wut. Sie atmete schwer, ihr Gesicht war schweißnass. Ich stellte mich, so gut es ging, zwischen die beiden.
»Mr McDermott«, brachte ich heraus. »Sie trainieren mit diesen Leuten. Fragen Sie herum.«
»Warum?«, entgegnete er. Sein Zorn schien zu verrauchen.
»Bürgerpflicht«, sagte ich. Dann sah ich zu Caroline, die den Arm sinken ließ. »Und Selbstschutz«, fügte ich hinzu.
12
Mittwoch, 9. Juni
Am nächsten Morgen verschlief ich und musste auf der Wache anrufen. Ich behauptete, ich hätte wegen Kerr einen wichtigen Anruf tätigen müssen. In Wirklichkeit halfen Penny und Shane mir beim Frühstück, das wir Debs ans Bett bringen wollten. Im Klartext bedeutete dies, dass Penny den Toast mit Butter bestrich, während Shane am Fuß der Treppe stand und
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