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Galgenweg

Galgenweg

Titel: Galgenweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian McGilloway
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und sei es auch noch so am Rande. In dieser Nacht schlief ich schlecht; ich wachte stündlich auf und war bereits wach und fertig angezogen, als ich um fünf Uhr dreißig einen Anruf erhielt: Man vermutete, dass der Mann, der Karen Doherty ermordet hatte, erneut zugeschlagen hatte. Nur hatte das Opfer diesmal überlebt.

11
    Dienstag, 8.   Juni
    Rebecca Purdy war fünfzehn Jahre alt, sah allerdings deutlich älter aus, weshalb sie wohl auch in den Club Manhattan eingelassen worden war.
    Als wir sie zum ersten Mal sahen, war ihr Gesicht so geschwollen und voller Prellungen, dass ihre Eltern sie kaum wiedererkannten. Am Hals hatte sie bläulich-lilafarbene Abschürfungen – ihr Angreifer hatte sie auf einem Feld gleich außerhalb von Letterkenny zu erwürgen versucht.
    Ihren Eltern hatte Rebecca erzählt, sie ginge auf eine Geburtstagsparty; stattdessen war sie mit ihren Freundinnen im Club Manhattan gewesen. Während sie uns dies erzählte, saß ihre Mutter an ihrem Bett und hielt mit geröteten Augen ihre Hand, das Gesicht von Kummer gezeichnet. Der Vater ging mit vorgeschobenem Kinn an ihrem Bett auf und ab, und seine Wangenmuskeln arbeiteten deutlich sichtbar.
    »Diese verdammten Lokale müssten geschlossen werden«, sagte er, als seine Tochter den Club erwähnte. Als Vater konnte ich seinen Zorn zwar verstehen, doch klar war, dass seine Tochter nicht offen zu uns sein würde, solange er anwesend war.
    Ich ging also mit ihm und seiner Frau auf einen Kaffee in die Cafeteria, während Williams mit dem Mädchen sprach. Die beiden saßen da und stritten im Flüsterton miteinander, während ich etwas zu essen für uns drei besorgte. Als ich an den Tisch zurückkehrte, entschuldigte Mrs   Purdy sich sofort bei mir.
    »Das war wirklich nicht nötig«, sagte sie gerade zum dritten Mal, während ich Kaffee und Gebäck von einem Tablett auf den Tisch stellte. »Das ist sehr aufmerksam von Ihnen.«
    »Gern geschehen«, sagte ich. Ich vermutete, dass die höfliche Fassade der Frau dabei half, nicht die Beherrschung zu verlieren, einen Anschein der Normalität aufrechtzuerhalten, die ihrem Leben nun abhanden gekommen war. Wer war ich, ihr diese Stütze zu nehmen?
    Ihr Ehemann jedoch schwieg zunächst hartnäckig. Er saß ein wenig von uns abgewandt und starrte auf die Tür des Krankenhauses, durch die Sonnenstrahlen hereinfielen. Er hob die Tasse und blies heftig auf seinen Kaffee, damit er abkühlte, trank aber nicht einen einzigen Schluck.
    Schließlich schien er mit etwas, womit er sich am liebsten nicht befasst hätte, ins Reine gekommen zu sein, stellte die Tasse auf den Tisch und wandte sich mir zu.
    »Haben Sie Kinder?«, fragte er. Ich hielt es für die Einleitung zu einer ganz anderen Frage.
    »Eine Tochter und einen Sohn«, sagte ich. »Aber sie sind noch sehr klein.« Das stimmte nicht ganz. Penny war schon sieben. Ich war davon ausgegangen, dass es noch mindestens zehn Jahre dauern würde, bis sie ausgehen und Alkohol trinken würde – länger, wenn es nach mir ginge. Rebecca Purdy hatte mich nun gezwungen, zu akzeptieren, dass meine eigene Tochter, zumindest was das Alter anging, vielleicht schon die Hälfte des Weges bis zu dieser Schwelle zurückgelegt hatte.
    »Sie wachsen so schnell.« Mrs   Purdy lächelte wehmütig.
    »Was würden Sie tun?«, wollte Mr   Purdy wissen. »Wenn es Ihre Tochter wäre?«
    »Seamus, das reicht«, sagte seine Frau und legte ihm beschwichtigend die Hand auf den Ellbogen.
    Er schüttelte sie ab. »Wenn irgend so ein Scheißkerl das Ihrer Tochter angetan hätte?«
    »Ich verstehe Ihren Zorn, Mr   Purdy. Glauben Sie mir – wir tun alles, was in unserer Macht steht, um die Person zu fassen, die das getan hat.«
    »Hat er …?«, setzte er an und näherte sich schließlich der Frage, die ihm auf dem Herzen lag. »Wurde sie …?« Er fand keine Worte dafür, obwohl wir alle wussten, welche Frage er zu stellen versuchte.
    »Das wissen wir nicht, Mr   Purdy«, sagte ich aufrichtig. Dann dachte ich an Karen Doherty. »Wenn es der Mann ist, nach dem wir suchen, dann vermutlich nicht. Aber ich weiß es nicht.«
    Zornig starrte er mich an, dann wandte er den Blick ab und blinzelte. Er sog die Wangen nach innen, doch ich sah, wie es an seinem Hals arbeitete; er versuchte, die Tränen herunterzuschlucken.
    »Wie soll ich ihr bloß in die Augen sehen, wenn …«, setzte er an und errötete vor Scham. »Wie kann ich das wiedergutmachen?«
    »Schsch, Seamus«, sagte Mrs   Purdy, und zum

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