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Galgenweg

Galgenweg

Titel: Galgenweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian McGilloway
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abscheulich«, sagte Williams und trank von meinem Kaffee. »Die meisten Verletzungen waren gestern unter seinen Kleidern nicht zu sehen. Die waren wirklich gründlich. Es war … bestialisch.« Fassungslos schüttelte sie den Kopf, als könnte sie sich so von den Erinnerungen an das Gesehene befreien.
    Ich sah mir ihre Notizen an: eine Liste von Kerrs Verletzungen; die Befunde der Autopsie; seine Kleidung – dieselbe, die er an dem Tag getragen hatte, als ich ihn aufgelesen hatte; sein Mageninhalt (ein Schokoladenriegel, den er mehrere Stunden vor seinem Tod verzehrt hatte); ein Inventar des Inhalts seiner Taschen – religiöse Medaillen, acht Euro dreiundsiebzig in Münzen und Scheinen, ein halb leeres Paket Kaugummi. Irgendetwas störte mich an dieser Liste, doch ich konnte nicht genau sagen, was es war.
    Ich sah mir den zeitlichen Ablauf an, den ich aufgeschrieben hatte, nachdem ich ins Büro gekommen war, und versuchte, dem Zweifel, der an mir nagte, auf den Grund zu gehen. Es hatte mit dem Geld zu tun, das man in seinen Taschen gefunden hatte. Damit stimmte etwas nicht.
    »Caroline, hier steht, er hätte etwas über acht Euro in der Tasche gehabt. Sind Sie da sicher?«
    »Völlig; ich habe zugesehen, als die Spusis es gezählt haben.«
    »Wo sind dann die dreihundert Euro hin? Das Geld, das er von Sinead Webb kassiert hatte? Was ist damit passiert?«
    »Vielleicht hat er es ausgegeben«, meinte Williams.
    »Wofür? Hier ist nirgends die Rede von Schmuck. Er hat dieselbe Kleidung getragen wie bei seiner Ankunft. Er hatte seit Stunden nichts gegessen, und davor nur einen Schokoriegel. Wofür könnte er es also ausgegeben haben?«
    »Vielleicht haben die Mörder es ihm abgenommen?«, sagte Williams, und fuhr sogleich fort, »aber die acht Euro haben sie ihm gelassen. Warum nicht alles nehmen?«
    Ich zuckte zustimmend die Achseln.
    »Könnten die acht Euro das Wechselgeld von den dreihundert sein?«
    »Ich glaube eher, das ist der Rest von dem Geld, das ich ihm vor ein paar Tagen gegeben habe. Er war obdachlos; ich kann mir nicht vorstellen, dass er es für eine Unterkunft ausgegeben hat.«
    »Was glauben Sie dann?«, fragte Williams. »Vielleicht hatte er dieses Geld nie?«
    Ich nickte erneut. »Ich glaube, Sinead Webb hat James Kerr überhaupt nichts gegeben. Jedenfalls kein Geld.« Gedanken purzelten durch meinen Kopf, allmählich bildete sich ein Muster heraus. »Hören Sie, Kerr kam hierher, um den dreien gegenüberzutreten, die ihn verraten hatten. Zuerst geht er zu Webb, dann stirbt Webb. Warum sollte er noch mal zu Webbs Witwe gehen? Wenn Webb ihm gesagt hatte, wer die übrigen Bandenmitglieder waren, warum hätte er dann noch mal zurückgehen sollen?«
    »Es sei denn, Webb hat ihm nichts gesagt. Es sei denn, Webb war tot, ehe er das hätte tun können.«
    »Aber er glaubt, Mrs   Webb würde es auch wissen. Woher sollte sie das aber wissen?«
    »Vielleicht hat Kerr sie mit jemandem gesehen, den er wiedererkannt hat?«, schlug Williams vor. »Vielleicht jemand, der bei ihr im Haus war?« Ihre Stimme überschlug sich beinahe vor Aufregung, als die Puzzleteilchen sich ineinanderfügten, und als sie nickte, erkannte ich, dass sie zum gleichen Schluss gekommen war wie ich.
    Ich dachte erneut über die Geschichte nach, die Bardwell mir erzählt hatte. Kerr hatte erwähnt, bei einem der Posträuber seien unter dem Strumpf, den er übers Gesicht gezogen hatte, Pickel zu erkennen gewesen. Es war nicht ausgeschlossen, dass die Pickel, an die er sich erinnerte, die Aknenarben in Decko O’Kanes Gesicht gewesen waren. Und Mrs   Webb hatte mir selbst gesagt, dass Kerr an dem Abend, an dem er sich zum ersten Mal auf dem Grundstück der Webbs herumgetrieben hatte, auch ihren Freund gesehen hatte. Es war nicht mehr als ein Indiz, aber zumindest war es eine einleuchtende Spur. Und im Augenblick war es die einzige Spur, die wir hatten.
    Ich nahm mir unsere Akten über O’Kane und Webb vor, da ich in dem Tohuwabohu seit meinem letzten Besuch bei Sinead Webb völlig versäumt hatte, zu überprüfen, ob die Behauptung, Webb sei ein Drogendealer gewesen, tatsächlich zutraf. Ich war nicht überrascht festzustellen, dass in seiner Akte nichts Derartiges erwähnt wurde. Da waren nur einige Verkehrsdelikte sowie Anzeigen wegen Trunkenheit und Erregung öffentlichen Ärgernisses, doch nichts, was darauf hindeutete, dass er der Kopf hinter irgendwelchen bewaffneten Raubüberfällen gewesen sein könnte – somit wusste ich

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