Galgenweg
zumindest eines: Falls Kerr tatsächlich Webb im Zusammenhang mit dem Raubüberfall erwähnt hatte, dann hatte die RUC jedenfalls nicht An Garda deswegen kontaktiert. Andererseits, falls Webb für den Special Branch gearbeitet hatte, hätten sie sich wohl kaum mit uns in Verbindung gesetzt. Wir hätten ja in der Sache ermitteln und seine Tarnung auffliegen lassen können.
Decko O’Kanes Akte war deutlich umfangreicher. Neben dem, was ich bereits wusste, fand ich zahlreiche Verwarnungen und Geldbußen wegen Geschwindigkeitsüberschreitung, Falschparkens und mehrfach wegen gefährlichen Fahrverhaltens. Es gab Gerüchte, Decko sei zu seiner ersten Berufung, dem Drogenhandel, zurückgekehrt, doch man konnte ihm nichts nachweisen, und fairerweise musste man auch sagen, dass Decko offenbar sauber geblieben war, seit er seinen Autohandel hatte.
Ich teilte die Akte zwischen Williams und mir auf, und wir lasen schweigend. Mehrere Minuten lang blätterte Williams hin und her und lehnte sich zurück, um sowohl die Blätter vor ihr auf dem Schreibtisch als auch die, die sie in der Hand hielt, im Blick zu haben. Schließlich sagte sie: »Decko ist 1995 verschwunden und 96 wieder aufgetaucht, stimmt’s?«
»Wenn Sie das sagen.«
»Er verschwindet im November vor dem Postraub von der Bildfläche – und taucht im Juli 96 wieder auf, und zwar mit Autos, die er in England bei einer Versteigerung gekauft hat. Und niemand hat sich je gefragt, wo er das Geld herhatte?«, fragte sie ungläubig.
»Hier steht«, sagte ich und deutete auf den Stapel Papiere, die ich gelesen hatte, »man sei davon ausgegangen, dass es sich bei dem Geld um Drogengewinne gehandelt habe. Konnte aber nicht bewiesen werden. Bisschen viel Zufall, was?«
»Sie glauben, er war einer von denen – und hat seinen Anteil benutzt, um sauber zu werden?«
»Möglich. Oder er hat mit seinem Anteil die perfekte Tarnung geschaffen, um auch das restliche Geld aus dem Raub zu waschen.«
Williams runzelte die Stirn und beugte sich vor. »Aber das reicht nicht, um ihn festzunehmen, oder? Genau genommen haben wir nichts gegen ihn in der Hand.«
»Genug für ein kleines Plauderstündchen, finde ich«, sagte ich. »Und wenn wir einen hinreichenden Verdacht zustande bekommen, könnten wir ihm immer noch eine DNA -Probe abnehmen.« Williams sah mich fragend an. »Um sie mit den Hautspuren unter Kerrs Fingernägeln zu vergleichen«, erklärte ich.
Wir benötigten eine halbe Stunde bis Letterkenny und weitere zwanzig Minuten, um uns durch den Verkehr bis zu Declan O’Kanes Gebrauchtwagenhandel vorzukämpfen, der in einem vor kurzem erschlossenen Gewerbepark am Stadtrand lag. Das Gebäude, eine Konstruktion aus Stahl und Glas, stand direkt gegenüber der Straße, die zur Countyverwaltung führte. Das Dach des Verwaltungsgebäudes hatte man mehrere Jahre zuvor mit Rasensoden gedeckt – eine nicht unumstrittene bauliche Maßnahme.
Als wir die Ausstellungsräume von Declan O’Kane betraten, sprach uns ein glatt rasierter, frisch parfümierter junger Verkäufer an. Er nahm an, wir seien ein Ehepaar, und sagte, an mich als den Haushaltsvorstand gewandt, er könne sich uns beide wunderbar in einer erstaunlich geräumigen Geländelimousine vorstellen.
»Ich hoffe nicht, mein Junge, sonst bekommt meine Frau einen Tobsuchtsanfall«, sagte ich und stellte Williams und mich vor. Der kleine Junge in mir ließ diese Vorstellung so laut geraten, dass diverse Kunden in unserer Nähe mithören konnten. »Wir würden gerne mit Mr O’Kane sprechen, wenn das möglich ist«, fügte ich hinzu.
Der Jungverkäufer hastete zum Büro, wo ich ihn in der Tür stehen und mit jemandem reden sah, der sich im Verborgenen hielt. Er wandte sich zu uns um und sagte etwas zu seinem Gesprächspartner. Nach einer Pause beugte er sich etwas vor und schloss die Tür.
Kurz darauf kehrte der junge Mann zurück, und Decko O’Kane folgte ihm flotten Schrittes. Er ging nur mehr leicht schief, das Hinken war beinahe verschwunden. Er hatte die letzten Jahre ganz ernsthaft versucht, sich so verändern, dass man ihm mit Respekt begegnete: Die Haare hatte er mit Gel zurückgekämmt, sein Schnurrbart war ordentlich getrimmt. Und die Haut glänzte, vermutlich aufgrund von Cremes zur Linderung der Aknenarben, die sein Gesicht noch immer wie Krater überzogen. Er drückte eine Faust an die Nase und schniefte einmal, dann streckte er mir die Hand hin. Ich fragte mich, ob dies ein bewusstes Manöver war, das uns
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