Galgenweg
versicherte mir, da der Auftrag zu der Untersuchung vom NBCI stamme, werde man das Ergebnis innerhalb weniger Tage erhalten.
Deckos Anwalt, Gerard Brown, war den Großteil der Nacht über bei seinem Mandanten gewesen, um dafür zu sorgen, dass dieser die vorgeschriebenen Pausen und Tassen Tee erhielt. Er war auch jetzt noch bei ihm. Der Schlafmangel und die Hitze in der Zelle ließen sein ohnehin schon fleischiges Gesicht noch aufgedunsener als gewöhnlich aussehen. Irgendwann an diesem Morgen hatte er um einen Ventilator gebeten; die Bedingungen im Raum bezeichnete er als die reinste Folter. Der Ventilator war pflichtgemäß hereingebracht worden, doch obwohl er direkt auf Browns Gesicht gerichtet war, Brown sogar Jackett und Krawatte abgelegt hatte und sein Kragen weit offen stand, war sein Gesicht schweißüberströmt.
Auch Decko sah verschwitzt und außerdem ein wenig ungepflegt aus, in krassem Gegensatz zu seinem sonstigen lässig-eleganten Stil. Sein Gel war in der Hitze längst getrocknet, sodass seine Haare ihm nun in verklebten Stacheln zu Berge standen. Er hatte dicke Tränensäcke unter den rot geränderten Augen und näselte, wobei er sich ein Taschentuch unter die triefende Nase hielt. »Heuschnupfen«, erklärte er. Kleine Stücke des weißen Papiertaschentuchs hatten sich in seinem Schnurrbart verfangen, und er biss sich unentwegt auf die Unterlippe.
»Ach, Sie «, sagte er, als ich hereinkam. Ich reichte Decko und seinem Anwalt je eine Dose Cola und öffnete dann eine für mich.
»Prost.« Er zog die Lasche an seiner Dose ab. »Sie sind der gute Cop, nehme ich an«, meinte er lachend. »Nach den Brutalos aus Dublin.«
»Weder gut noch böse, Mr O’Kane. Lediglich ein frisches Paar Augen, das vielleicht etwas sieht, was wir bislang übersehen haben.«
»Also, das ist doch einfach nur lächerlich«, sagte Brown. »Entweder Sie erheben Anklage gegen meinen Mandanten, oder Sie lassen ihn frei, aber dieses ständige Kommen und Gehen ohne Sinn und Verstand führt uns nirgendwohin.«
»In Ordnung«, sagte ich und holte mein Notizbuch hervor. »Mr O’Kane, wo waren Sie am Mittwochabend, dem 9. Juni?«
»Zu Hause, wie ich den anderen schon gesagt habe.«
»Sind Sie sicher?«
»Nein, ehrlich gesagt, jetzt wo Sie mich zum zweiten Mal fragen, fällt es mir alles wieder ein. Da war ich auf irgend so einem Feld und habe zusammen mit meinen Kumpels so einen Spinner gekreuzigt.«
»Wirklich«, fragte ich mit ausdrucksloser Miene.
»Was glauben Sie denn? Ach, Scheiße.«
»Ich glaube, dass es wahrscheinlich stimmt. Wie ist James Kerrs Traktat in Ihren Wagen gekommen?«
»Ich habe keine Ahnung«, sagte er, und ausnahmsweise wusste ich genau, dass er in diesem Punkt die Wahrheit sagte. »Vielleicht habe ich –«
Browns Mobiltelefon klingelte. Er sah aufs Display, bat um Entschuldigung, stand auf und stellte sich in eine Ecke.
»Sie sprachen gerade über das Traktat, Mr O’Kane«, drängte ich ihn, doch vergeblich. Er beobachtete Brown, oder wahrscheinlich versuchte er eher, aus Browns leisen Antworten den Inhalt des Telefonats zu erschließen. Das tat ich jedenfalls.
Brown klappte sein Mobiltelefon zu und kam breit grinsend zu uns zurück. »Ich denke, es wird Zeit, dass mein Mandant eine Pause bekommt, Inspector. In den nächsten zehn Minuten kommt hier ein durchaus bedeutsames Päckchen an; ich glaube, es ist wichtig, dass ich einige Minuten allein mit meinem Mandanten sprechen kann, um seinen Fall auf der Grundlage dieses neuen Sachverhalts zu erörtern.«
Schlagartig wurde mir ausgesprochen mulmig zumute. »In Ordnung«, brachte ich hervor.
»Vielleicht wären Sie so freundlich, mir Bescheid zu geben, wenn das Päckchen hier eintrifft.«
»Gut«, sagte ich.
»Ich denke, wir werden auch einen Fernseher und ein Videogerät benötigen, Inspector«, fuhr er fort, und meine Eingeweide zogen sich so krampfartig zusammen, dass ich schon glaubte, ich müsse mich übergeben.
In diesem Augenblick gab es draußen im Korridor einen Aufruhr.
»Wo ist er?«, hörte ich jemanden rufen, und als ich die Tür aufriss, um nachzusehen, was da los war, erschien Patterson in meinem Blickfeld.
»Du Arschloch«, stieß er hervor, und ehe ich auch nur abwehrend den Arm heben konnte, hatte er auch schon ausgeholt und mich mitten ins Gesicht geboxt.
Meine Beine gaben nach und ich fiel rücklings auf den Tisch im Vernehmungszimmer und verschüttete die Cola auf mich und den Boden.
Der Raum drehte
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