Galileis Freundin (German Edition)
ihr von dem Großherzog Ferdinand II. nicht verboten worden, Gä s te nach Belieben empfangen zu dürfen. Es war ihr ein Leichtes, diese Freiheit weidlich zu nu t zen. Die Burg Picchena entwickelte sich zu einem Zentrum von gebildeten Menschen. Hier wurde über Malerei und die Literatur, über die Astronomie und die Dichtkunst gesprochen. Hier entsta n den neue Gedanken über das Leben und die Kirche. Und manch offenes Wort wurde nur im vertrauten Kreise ausgesprochen. Fahrende Sänger, Geschichtenerzähler, Gaukler und auch vorbeiziehende Kaufleute belebten das Bild von Picchena. Geschichtenschreiber brachten das Leben während der Pest zu Papier. Musikanten erfreuten an kalten Wintertagen mit ihrer Laute den Sohn und die Herrin. Jeder arme Teufel, der bettelnd an die Pforten der Burg klopfte und um ein Almosen bat, wurde in die Burg hereingebeten. Niemand erhielt eine kostenlose Gabe.
„Freund“, pflegte die Gräfin den Burschen anzusprechen, „es hat sich herumgesprochen, dass unsere Seele für eine mildtätige Gabe weit geöffnet ist. Sicher haben auch die Vögel und Rehe, die Wölfe und Hirsche, die Kaninchen und Hasen, vielleicht sogar die Fische berichtet, dass wir stets eine Gegenleistung verlangen. Sei es, du trällerst ein fröhliches Lied mit deiner Zunge, sei es, du berichtest von großen lobenswerten Taten, sei es du erzählst eine gute Geschichte, ein Märchen, eine in Erfüllung gegangene Weissagung. Bist du zu faul, so gehe ohne eine Mah l zeit. Ist deine Geschichte lang genug, so verdienst du dir manch weitere Malzeit, vielleicht s o gar ein Bett für wenige Tage. Doch spätestens nach drei Tagen, so lautet unsere Regel, musst du dein Ränzlein schnüren und dich erneut auf den Weg machen zu anderen Gefilden. Wir brauchen hier den Platz für andere leutselige Geister. Und merk dir eines. Das Eigentum, was du hier siehst, ist unseres. Vergreif dich nicht an dem Besitz der Unsrigen. Entdecken wir ’ s, wirst du zur selben Zeit noch aus dem Haus geprügelt. Bist du einverstanden, so lass dir nun die Wanne zum Bade reichen, damit du gereinigt an unsere Tafel trittst.“
Erstaunlich waren die vielen, guten Geschichten, die Märchen, die Abenteuer, die selbst die einfachsten Leute, die Bettler, die Lahmen und die sonst wie Benachteiligten erfanden. Caterina ließ alle Geschichten von einem Schreiber aufschreiben ohne jegliche Bewertung. So entstand in Picchena die wertvollste Sammlung toskanischer Weltliteratur. Die schönste Geschichte, die dem kleinen Grafen so sehr ans Herz ging, war das Märchen von der Duftprinzessin aus Montepulciano.
Die Gräfin Picchena lehrte bald auch ihren Sohn nicht nur das Lesen, sondern auch Geschichten aufzuschreiben und selbst zu erzählen. Marzial Curzio war sehr erfinderisch und schnell im Schreiben. In der Bibliothek der Burg wurde eigens eine Ecke hergerichtet, um die schönen Geschichten mit ihren lehrreichen Enden aufzubewahren. So en t stand schnell eine große Sammlung der Märchen und Erzählungen, die weit über die Lande hinaus bekannt wurde.
Der Sommer ging, die Herbststürme luden am offenen Kamin ein zum Berichten und Palavern, zum Disputieren, Forschen und Ergründen. Die Nebel ließen manch einen verirrten Wanderer, manch einen Handelsreisenden in den Wäldern von Picchena verängstigt an die Pforten klopfen. So manches Mal saß der Schreiner von San Gimignano neben dem Töpfer aus Castel, der reiche Padrone aus dem Hochland neben dem Pfarrer aus Volterra, der Bettler aus Florenz neben dem Pilger aus Marseille.
Die Erwähnung des Namens dieser Stadt, die Erwähnung von Aix in der Provence versetzte der Gräfin einen Stich durch die Seele. Lange hatte sie geglaubt, den Mann aus dem Süden Frankreichs vergessen zu können. Doch wie die süße Blüte die summende Biene lockt, so fa n den sich immer wieder Reisende ein, die mit lieblichem Gesang von den schönen Küsten der Provence berichteten. Andere brachten Stickereien oder Linnen mit, stets sah die Frau den Mann des Herzens im Gepäck des Reisenden. So manch einer sprach von dem Hafen in Ma r seille und dem eigenen Hafen der Toskana in Livorno.
Die Worte Provence, Marseille, Aix en Provence und Frankreich ließen das Blut der verban n ten Frau in ihren Adern zur Wallung kommen. Eine verräterische Röte stieg in ihr Gesicht. Und nur, wenn ihr heranwachsender Sohn, Marzial Curzio, der die Geschichten über seinen Vater häufig vernommen hatte, unter den Zuhörern weilte, erkannte dieser als
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