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Galileis Freundin (German Edition)

Galileis Freundin (German Edition)

Titel: Galileis Freundin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Tschauder
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den steilen Weg aus Florenz sah er einen Reiter zur Anhöhe des Hügels kommen. Vor der Villa hielt er an und winkte mit einem Schriftstück in der Hand, als er den alten Mann en t deckt hatte. An den Insignien erkannte Galilei einen Brief aus dem Palazzo Picchena. Er brach das Siegel auf, zog die Schnüre auseinander und entrollte das Schreiben. Er war sogleich tief in die Zeilen versunken, und las den Brief seiner jugendlichen Freundin.
     
    „ Hochverehrter, hoch gelehrter Galilei,
    wenn es die wenige Zeit, die Ihr, mein hochgeschätzter Freund, für meine Zeilen erübrigen könnt, erlaubt, bitte ich Euch um ein wenig Aufmerksamkeit für die G e schehnisse, die mir vor ein paar Tagen in dem Palazzo meines geliebten Vaters in Florenz z u gestoßen sind.
    Nichts darf so wichtig sein, dass es Euch verehrter Herr Galilei, in Eurer Arbeit für die Bewei s führung eurer Erkenntnisse beim Heiligen Stuhl zuviel Zeit raubt. Daher nehme ich auch an und habe alles Verständnis dafür, dass Ihr meinen Brief nicht sogleich lesen werdet. Wenn ihr dennoch die Zeit für ein solch unwesentliches Unterfangen erübrigen könnt, wäre ich Euch zu tiefem Dank verpflichtet.
    Ich bitte Euch um Nachsicht, großer Gelehrter, wenn ich mich sehr schwer tue und auch noch nicht weiß, wie ich meine Zeilen beginnen soll. Ich bin mir sehr unsicher, ob ich überhaupt über die Ungeheuerlichkeit, die mir geschehen ist, berichten kann. Mein Mund scheint zum Schwe i gen verpflichtet, mein Herz wagt nicht die Bösartigkeit auszudrücken. Die Scham erfasst meine Sinne. Soll ich, wie ein neuer Ausdruck in unseren Kreisen besagt, mit der Tür in das Haus fallen, oder soll ich die Geschehnisse langsam vorbereiten und meine Fragen an Euch sorgfältig aufbauen? So wird wohl mein Brief für einen Mathematiker eher konfus, als logisch sein.
    Ihr wisst , hoch gelehrter Galilei, mein Streben nach viel Wissen und großen Fertigkeiten ist mit umfangreichen Studien und Lehrstunden in der Villa Picchena angefüllt. Ich wage es nicht, an Erkenntnisse, wie Ihr sie habt, zu denken, doch will ich zumindest all dies, was Forscher und Wissenschaftler entdecken und entwickeln, verstehen können.
    Mein über alles geliebter Vater hat mich dem Lehrer Pandolfini des Klosters San Frediano a n vertraut. Gerade jetzt, da mein Vater für einige Wochen in Venedig weilt, sollte ich die Zeit mit umfangreichen Studien und Übungen nutzen. So habe ich denn auch keine Möglichkeit, mit meinem Vater über das Geschehene zu sprechen. Bis ein Brief ihn erreicht hätte, und ich eine Antwort erhalten würde, verginge sehr viel Zeit. Außerdem möchte ich nicht die hochpolit i schen Geschäfte meines Vaters stören.
    So vernehmt denn, hoch gelehrter Meister Galilei, meine Klagen, die mein Herz zerrütten und meine Seele in eine tiefe Traurigkeit gestürzt haben.
    Vor wenigen Tagen hat mich, Gott möge ihn für alle Zeiten verdammen, der Abt Piero brutal vergewaltigt. Noch jetzt sehe ich seinen runden, rot glühenden Glatzkopf mit seinen hässlichen , triefenden Schweinsaugen, seiner knolligen, leuchtenden Nase, seinem sabbernden, schwulst i gen Mund vor mir. Ich zittere vor Todesangst, und Abscheu überfällt mich. Meinen Körper und meine Seele hat der Niederträchtige geraubt. Wie ein ungebändigtes Stück Vieh, um seiner unbefriedigten Lust willen, stieß er mich in den Dreck.
    Großer Gelehrter, hoch verehrter Galilei, wie kann ich Euch mit meinen furchtbaren Erlebnissen belästigen? Nehmt in Euer Herz auf, meine Seele ist voller Verzweiflung, mein Herz voller Abscheu. Auch wenn ich Euch meinen Schmerz nicht übermitteln kann. Denn einfacher ist es für mich ohne große Gefühle über diese Sache zu schreiben. Mir ist, als wäre meine Liebe zu den Menschen verstorben. Mit diesem Ungeheuer in einer Mönchskutte ist nicht nur die Liebe, es sind auch das Vertrauen, die Zuversicht und ich mag es kaum sagen, die Freude auf mein Leben dahingegangen. Eine tiefe, schwarze Leere hat sich meiner bemächtigt. Ich weiß noch nicht einmal, ob es gut ist, Euch diesen Brief zu schreiben...“
     
    Die letzte Zeile, verwischt und wohl von einer Träne durchnässt , war für Galilei kaum lesbar. Der nüchterne Mathematiker hielt mit Entsetzen im Lesen inne. Welch schreckliche Untat, welch erniedrigendes Leid hatte die Tochter seines Freundes erleiden müssen. In seinem He r zen sah er stets nur die fröhliche und eifrig um Wissen bemühte, kleine Caterina. In seinen A u gen war sie wirklich noch ein

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