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Gammler, Zen und hohe Berge (German Edition)

Gammler, Zen und hohe Berge (German Edition)

Titel: Gammler, Zen und hohe Berge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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Berge zu sehen, riesige, schwarze, aufragende Gestalten gegenüber, pechschwarz und weiß mit Schnee obenauf, so nah, plötzlich, dass ich fast einen Satz gemacht hätte. Um elf konnte ich den Abendstern über Kanada sehen, nach Norden raus, und glaubte einen Streifen von orangenfarbenem Sonnenuntergang hinter dem Nebel zu erkennen, aber all dies wurde schlagartig verdrängt durch das Geräusch von einem Rudel Ratten, die an meiner Kellertür kratzten. Auf dem Dachboden flitzten kleine diamantene Mäuse auf schwarzen Füßen zwischen Haferflocken und Reisresten und alten Klamotten umher, den Überbleibseln einer Generation von Desolation-Bewohnern, die den Kampf verloren hatten. ‹O weh›, dachte ich, ‹werde ich mich daran gewöhnen? Und wenn nicht, wie komme ich hier weg?› Das Einzige war, ins Bett zu gehen und den Kopf unter die Daunen zu stecken.
    Mitten in der Nacht hatte ich anscheinend im Halbschlaf die Augen etwas geöffnet, und dann wachte ich plötzlich auf, und die Haare standen mir zu Berge, ich hatte gerade ein riesengroßes schwarzes Ungeheuer vor meinem Fenster stehen sehen, und ich schaute hin, und es hatte über sich einen Stern, und es war Mount Hozomeen, meilenweit entfernt nach Kanada raus, der sich über meinen Hof beugte und in mein Fenster starrte. Der Nebel war ganz verweht, und die Nacht war vollkommen sternklar. Was für ein Berg! Er hatte die unverwechselbare Gestalt eines Hexenturms, so wie auf Japhys Pinselzeichnung, die an der leinenbespannten Wand seiner von Blumen umgebenen Hütte in Corte Madera hing. Er war so gebaut, dass ein Weg wie ein Sims sich rundherum um den Fels in Spiralen bis ganz auf die Spitze wand, wo ein wahrer Hexenturm aufragte und in die Unendlichkeit wies. Hozomeen, Hozomeen, der düsterste Berg, den ich je gesehen, und der schönste, sobald ich ihn näher kennenlernte und sah, wie hinter ihm das Nordlicht das ganze Eis des Nordpols von der anderen Seite der Welt spiegelte.

33. Kapitel
    Und siehe da, am Morgen wachte ich auf, und der Himmel war herrlich blau und sonnenklar, und ich ging auf meinen Alpenhof hinaus, und da war es, alles, wie Japhy gesagt hatte, Hunderte von Kilometern von reinen, schneebedeckten Felsen und unberührten Seen und Hochwald, und unten, anstelle der Welt, sah ich ein Meer von samtweichen Wolken, flach wie ein Dach und nach allen Seiten meilenweit sich erstreckend wie Sahne auf allen Tälern. Von meiner zweitausend Meter hohen Zinne aus gesehen lag alles tief unter mir. Ich kochte auf dem Ofen Kaffee und ging raus und wärmte meine nebelklammen Knochen in der heißen Sonne auf meinen kleinen Holzstufen. Ich sagte zu einem dicken flauschigen Kaninchen «Hallo», und es betrachtete stillvergnügt und ruhig einen Augenblick mit mir zusammen das Wolkenmeer. Ich machte mir Eier und Schinken, grub hundert Meter abwärts am Pfad eine Abfallgrube, schleppte Holz und identifizierte mit meinem Doppelfernrohr die markanten Punkte der Landschaft und benannte all die magischen Felsen und Klüfte; gab ihnen die Namen, die Japhy mir so oft gesungen hatte: Jack Mountain, Mount Terror, Mount Fury und Mount Despair, auf denen Schrecken, Wut und Verzweiflung zu Hause waren, Golden Horn, Sourdough, Crater Peak, Ruby, Mount Baker, größer als die Welt in der westlichen Ferne; Crooked Thumb Peak, weil er aussah wie ein gekrümmter Daumen, und die fantastischen Namen der Bäche: Drei Narren, Zimt, Kummer, Blitz und Große Kälte. Und das alles gehörte mir, kein zweites Paar Menschenaugen auf der Welt blickte auf dies unermessliche stoffliche Universum rundum. Mir kam alles vor wie ein einziger ungeheuerlicher Traum, und dies Gefühl ließ mich den ganzen Sommer nicht mehr los. Es wuchs sogar ständig, besonders wenn ich auf dem Kopf stand, um mein Blut zirkulieren zu lassen, mitten auf dem Gipfel des Berges, mit einem Stoffbeutel als Unterlage, und dann sahen die Berge wie kleine Blasen aus, die kopfüber in der Leere hingen. Ich stellte fest, sie standen auf dem Kopf, und ich auch! Hier gab es nichts, was die Tatsache hätte verbergen können, dass die Schwerkraft uns alle an der Kugeloberfläche der Erde festhält, ohne dass uns was passiert, mit dem Kopf nach unten im unendlichen leeren Raum. Und plötzlich wurde mir klar, dass ich wahrhaft allein war und nichts zu tun hatte, als mich zu ernähren, auszuruhen und mir einen vergnügten Tag zu machen, und niemand konnte herumkritisieren. Die kleinen Blumen wuchsen überall rund um die Felsen, und

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