Gammler, Zen und hohe Berge (German Edition)
Rollenverteilung zwischen den beiden – Japhy der Meister, Ray der Schüler – wird niemals wirklich in Frage gestellt und auch ihre tiefe Kameradschaft nicht in Zweifel gezogen. Trotzdem zieht sich ein subtiler Strom von Antagonismen zwischen den beiden Hauptfiguren durch Gammler, Zen und hohe Berge . Snyder hatte eine ganze Reihe von guten Gründen, sich mit Kerouacs Porträt von ihm unwohl zu fühlen. Er war eine Privatperson mit einem gesunden Empfinden für die eigenen Grenzen und wollte nicht als Repräsentant seiner Zeit gelten, und noch weniger wollte er für alle Zeiten mit der Beat-Generation in Verbindung gebracht werden. Seine eigene Dichtung war stark vom Imaginismus und besonders von Ezra Pound beeinflusst –«dieser großkotzige Irre», spottet Ray – und stand damit im direkten Gegensatz zu vielen von Kerouacs Überzeugungen. Sowohl Snyder als auch Kerouac waren von der dreizeiligen japanischen Haikuform fasziniert, laut Kerouac «ein kurzer und lieblicher Satz mit einem plötzlichen Gedankensprung», «eine vollständige Vision vom Leben», ohne «poetische Tricksereien», ein Test für die Fähigkeit eines Künstlers, Projektionen und Vermenschlichungen zu widerstehen. In Gammler, Zen und hohe Berge will Ray «richtig schnell im Vorübergehen, spontan» Haikus machen, während Japhy glaubt, dass man «mit Haikus nie sorgfältig genug sein kann». Ein anderer Grund für Snyders Unbehagen ist sicher, dass Japhy als Rays Führer in Sachen Buddhismus und Wildnis zeitweise ärgerlich schulmeisterhaft, ja geradezu hochnäsig daherkommt – was man übrigens gleichermaßen von Gerard sagen kann, so wie er uns in Kerouacs Porträt entgegentritt – einem Heiligen kann eben niemand das Wasser reichen, und manchmal verübelt er sogar schon den Versuch.
«Vergleiche sind scheußlich», pflegt Japhy zu sagen, aber er selbst lebt von ihnen und leitet seine Bemerkungen mit Wendungen wie «Das Problem mit dir» oder «Dir ist wohl nicht klar» ein, und als Erklärung muss dann häufig ein «Das wird dir guttun» reichen. Während sie das Matterhorn ersteigen, stößt der unverwüstliche, redselige Meister dadaistischer Verballhornungen Henry Morley (im wirklichen Leben John Montgomery, ein Bibliothekar aus Berkeley, dessen Porträt Kerouac mit großartiger Komik zeichnet), der als Bergsteiger ein charmanter Dilettant war, einen Jodler aus. Japhy korrigiert ihn dahingehend, dass das «Hoo!» der amerikanischen Ureinwohner doch «viel schöner» sei; aber sobald er selbst den Gipfel erklommen hat, nackt bis auf ein Suspensorium, fängt er selbst an zu jodeln. Immer wieder zieht Japhy über das Mittelklasse-Amerika her, seine «geschniegelten Schulen», «weiß gekachelten Toiletten», sein «Rumgemache mit dem bloßen Schein»; er möchte eine Druckerpresse aufstellen und «Eisbomben für das dumme Volk» herausbringen. Aber Ray wendet ein: «Ach, das Volk ist gar nicht so übel, das leidet doch auch.» Er versteht, warum seine Mutter ihre Küchengeräte liebt, er hat sogar Mitleid mit seinem hart arbeitenden Schwager und dessen wachsender Ungeduld angesichts Rays offenkundiger Orientierungslosigkeit. Und wie sehr auch eine Welt ihm Angst einjagt, die «elektrifiziert bis hin zum Großen Hauptschalter» ist, so kann Ray doch nicht vergessen, dass die Menschen vor den Fernsehgeräten – und gelegentlich schloss er sich jenen gerne und ausdauernd an – auch Individuen sind, die «niemandem etwas zuleide tun». Ray ist sich klar darüber, dass sein eigener Anspruch, ohne Vorbehalte akzeptiert zu werden, bedeutet, andere gleichermaßen vorbehaltlos zu akzeptieren.
Aber Japhy und Ray reagieren auch unterschiedlich auf die Natur. Beim Abstieg vom Matterhorn gerät Ray geradezu in Verzückung, weil er von Japhy lernt, dass «man von einem Berg nicht herunterfallen kann». Außerdem ist er begeistert, dass er wieder anfängt, «Menschen riechen zu können». Die Rückkehr in die Zivilisation kommt ihm vor, als würde er «aus einem endlosen Albtraum erwachen». Und auch Rays Vorahnungen von der abgeschiedenen Trostlosigkeit des Desolation Peak zeigen, dass die von Menschenhand unberührte Natur auf Kerouac eher wie ein vorsätzliches Komplott, ja eine mörderische Bedrohung wirkte. In jenem wesentlich düsterer gefärbten Bericht, den er in Desolation Angels von dieser Zeit gibt, kann Kerouac es kaum erwarten, dem Desolation Peak Richtung Stadt den Rücken zu kehren, wo es «zerwühlte Sofas gibt, mit Frauen drauf»
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