Gammler, Zen und hohe Berge (German Edition)
Chor: «Wir dachten, die Westküste sei tot!» Es ist durchaus plausibel, dass die Abschussrampe für die Beat-Generation in San Francisco stand und nicht in New York, trotz der zweifellos konkurrenzlosen künstlerischen Ressourcen der östlichen Metropole. In Kerouacs Worten: «Jeder … in Amerika, der keine festen Verpflichtungen hatte», war in diese Richtung unterwegs, verließ den «erdigen und heiligen» Osten für den «großen, nüchternen Westen», eine Gegend, «so weiß wie Wäsche auf der Leine und strohdumm». Kaliforniens Bevölkerung wuchs zwischen 1940 und 1950 um 70 Prozent, während in New York zum ersten Mal in der Geschichte der Stadt mehr Menschen fort- als zuzogen. Die Tatsache, dass es einen Großteil der Migranten nach Los Angeles zog, einen «Dschungel» aus Vorstädten, in Kerouacs bissiger Beschreibung «die brutalste aller amerikanischen Städte», und nicht ins ältere Frisco, machte einen Teil des Charmes der nördlichen Nachbarstadt aus.
Ein Jahrhundert nach dem Goldrausch und frei von den grotesken Erscheinungen eines ständigen Zwangs zum Wachstum, gab es in San Francisco ebenjenen Sinn für «exzentrische Kameradschaft», den Kerouac an New York so liebte. Größtenteils aus Holz erbaut, türmten sich die steil aufragenden Häuser an steilen Hügeln, als wären sie ständig miteinander im Gespräch; San Francisco war – so ganz anders als Los Angeles, die «Hauptstadt der Autos» – eine Stadt für Fußgänger und nach menschlichem Maß erbaut. Das sich ins Land hineinfressende L. A. musste sich einen Zugang zum Meer erobern; Frisco thronte über seiner eigenen Bucht, eine Stimmgabel der Ost-West-Schwingungen, und bis Japan oder China gab es nichts außer den glitzernden Wassern des Pazifiks. Um 1850 waren chinesische Arbeiter in diese Gegend gezogen, um Eisenbahntrassen zu bauen; sie brachten ihre buddhistischen Tempel mit, und in den 1890-ern folgten ihnen die Japaner. Kerouac hatte sich ab Anfang 1954, und ganz auf sich gestellt, buddhistischen Studien gewidmet; als er auf der Szene erschien und sich erfreut und erstaunt darüber zeigte, dass es noch andere Buddhisten in Amerika gab, putzte ihn Kenneth Rexroth, der Elder Statesman der Dichterszene an der Westküste (und von Kerouac in Gammler, Zen und hohe Berge als Reinhold Cacoethes karikiert), umgehend runter: «In San Francisco ist jeder ein Buddhist, Kerouac. Hast du das nicht gewusst?»
Trotz all seiner Meriten hatte San Francisco natürlich kein Monopol auf den Buddhismus. Das Interesse an allem Östlichen war seit den späten Vierzigern stetig gewachsen und Teil dessen, was der Historiker Robert Ellwood «den spirituellen Underground» Amerikas während des Kalten Krieges nennt. Der Berg der sieben Stufen , die Autobiographie des Trappistenmönchs Thomas Merton, dessen Lebensweg Kerouac zeitweise auch als Modell für den seinen möglich erschien, war 1948 ein überraschender Bestseller; in den frühen fünfziger Jahren begann Merton, sich dem Buddhismus zuzuwenden. Joseph Campbells Der Heros in tausend Gestalten (1949) popularisierte die Vorstellung von der Suche als Herzstück von Mythologie, Religion und Literatur sowohl im Osten als auch im Westen. Morey Bernstein dokumentierte in Der Fall Bridey Murphy: Dokument einer Wiedergeburt einen angeblich realen Fall von Wiedergeburt in Amerika; das Buch war 1956 ein Bestseller. D. T. Suzuki, der schon Jahrzehnte früher aus Japan gekommen war, begann 1950 an der Columbia University Buddhismus zu lehren; in Gammler, Zen und hohe Berge hat Japhy Ryder Suzukis Bücher in seinen Bücherregalen aus Orangenkisten stehen, und Kerouac selbst besuchte im Herbst 1958 den weisen Mann. Suzuki warf nur einen Blick auf Kerouacs gerötetes Gesicht und empfahl ihm dann, bei grünem Tee zu bleiben. Als Kerouac ging, fragte er Suzuki, ob er für immer bei ihm bleiben könne; Suzuki antwortete rätselhaft: «Irgendwann einmal.» Im Juli 1958, drei Monate vor der Publikation von Gammler, Zen und hohe Berge , merkte Time an, dass «Zen-Buddhismus dieser Tage einen gewissen Chic entwickelt», und in Mademoiselle war zur gleichen Zeit ein erstaunlich intelligenter Artikel zu diesem Thema zu lesen.
Kerouacs Hinwendung zum Osten war allerdings durch seine erneute Lektüre von Walden (1854) ausgelöst worden. Thoreau, auch einer von Snyders Helden, nannte die hinduistische Bhagavad Gita einen Gipfelpunkt an Weisheit und Kunst, der «die moderne Welt und ihre Literatur kümmerlich und
Weitere Kostenlose Bücher