Gammler, Zen und hohe Berge (German Edition)
verstehst du, warum die Orientalen eine solche Leidenschaft für den Tee haben», sagte Japhy. «Denk an das Buch, von dem ich dir erzählt habe und in dem stand: Der erste Schluck ist Freude, der zweite ist Glückseligkeit, der dritte ist heiterste Gelassenheit, der vierte Wahnsinn und der fünfte Verzückung.»
«Was ich hiermit Wort für Wort unterschreiben würde.»
Der Felsen, an dem wir lagerten, war ein Wunder. Er war etwa zehn Meter hoch und ebenso breit. So ergab sich beinahe ein vollkommenes Quadrat. Verschlungene Bäume wölbten sich bogenförmig darüber und guckten auf uns herab. Die Gesteinswand hatte sich etwas vornübergeneigt, dadurch bildete sie eine Höhle, sodass wir im Fall von Regen einigermaßen geschützt waren. «Wie ist dies Monstrum bloß hierhergekommen?»
«Es ist wahrscheinlich von einem zurückweichenden Gletscher hier liegengelassen worden. Siehst du da drüben das Schneefeld?»
«Ja.»
«Das ist der Gletscher, von dem er liegengelassen wurde. Entweder war es so, oder dieser Felsen löste sich krachend von unbegreiflichen prähistorischen Bergen, oder vielleicht landete er einfach hier, als damals – während der Bodenauffaltung der Jurazeit – diese ganze verdammte Bergkette aus dem Boden hervorbarst. Ray, wenn du hier oben bist, dann sitzt du nicht in einer Teestube in Berkeley. Dies hier ist der Anfang und das Ende der Welt. Sieh dir all diese geduldigen Buddhas an, die auf uns herabblicken und nichts sagen.»
«Und hier hinauf kletterst du ganz für dich allein?»
«Jedes Wochenende, genau wie John Muir, ich klettere hier ganz allein herum, folge den Quarzadern und pflücke Blumensträuße für mein Lager oder laufe ganz einfach nackt herum und singe und koche mir mein Essen und lache.»
«Japhy, ich muss sagen, du bist der glücklichste Mensch auf der ganzen Welt, und ein prima Kerl bist du auch, bei Gott. Ich bin ja so froh, dass ich das alles lernen kann. Auch ich werde fromm, wenn ich hier oben bin. Hör mal zu, ich weiß nämlich ein Gebet, weißt du. Kennst du das Gebet, das ich immer sage?»
«Welches?»
«Ich setze mich hin und sage es auf und gehe alle meine Freunde und Verwandten und Feinde der Reihe nach durch, ohne dabei irgendwelchen Gefühlen wie Ärger oder Dankbarkeit oder so was Raum zu geben, und sage etwa ‹Japhy Ryder, ebenfalls eitel und leer, ebenfalls der Liebe bedürftig, ebenfalls ein kommender Buddha›, und dann nehme ich mir den Nächsten vor, sagen wir mal ‹David O. Selznick, ebenfalls eitel und leer, ebenfalls der Liebe bedürftig, ebenfalls ein kommender Buddha›, obgleich ich keine Namen wie David O. Selznick nehme, sondern ganz einfache Leute, die ich kenne. Denn wenn ich die Worte sage ‹ebenfalls ein kommender Buddha›, dann will ich an ihre Augen denken. Nimm zum Beispiel mal Morley, seine blauen Augen hinter der komischen Brille. Wenn du denkst ‹ebenfalls ein kommender Buddha›, denkst du an diese Augen – und tatsächlich, auf einmal siehst du den geheimen Frieden und die Wahrheit seiner kommenden Buddhaschaft. Dann denkst du an die Augen deines Feindes.»
«Ray, das ist großartig», und Japhy holte sein Notizbuch raus und schrieb das Gebet auf und schüttelte verwundert den Kopf. «Also wirklich, das ist großartig. Ich werde dies Gebet den Mönchen beibringen, die ich in Japan treffe. Du bist schon ein verdammt netter Kerl, Ray, das Einzige bloß, dass du nie gelernt hast, wie man solche Ausflüge macht. Du hast dich von der Welt mit Scheiße zudecken lassen, bist darin versoffen und hast dich immer nur gequält … und obgleich, wie gesagt, Vergleiche etwas Schreckliches sind, ist doch das, was wir jetzt sagen, die reine Wahrheit.»
Er holte ein paar Pakete getrocknetes Gemüse hervor und tat alles in den Topf. Darin sollte es bleiben, bis es bei Sonnenuntergang gar war. Dann passten wir auf, ob wir vielleicht Morleys Jodeln hören konnten. Wir hörten nichts. Wir fingen an, uns seinetwegen Sorgen zu machen.
«Der Ärger an der ganzen Geschichte ist, dass keiner da ist, der ihm helfen könnte, wenn er von einem Felsen hinunterfällt und sich ein Bein bricht. Es ist sehr gefährlich, wenn man … Ich kann das alles ganz allein, aber ich bin auch gut in Form. Ich bin eine Bergziege.»
«Ich kriege langsam Hunger.»
«Ich auch, verdammt nochmal. Hoffentlich ist er bald hier. Lass uns ein bisschen das Terrain sondieren und Schneebälle essen und Wasser trinken und warten.»
Das taten wir, untersuchten das obere
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