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Gammler, Zen und hohe Berge (German Edition)

Gammler, Zen und hohe Berge (German Edition)

Titel: Gammler, Zen und hohe Berge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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plötzlich golden färbten … «Warum schlafen wir nicht heut Nacht einfach hier? Ich glaube nicht, dass ich jemals in meinem Leben einen schöneren Rastplatz gesehen hab.»
    «Ach, das ist doch noch gar nichts. Natürlich, es ist toll, aber es kann uns passieren, dass wir morgen früh aufwachen, und drei Meter links von uns braten drei Dutzend Schullehrer zu Pferde ihren Schinken. Ich gehe jede Wette ein, dass da oben, wo wir noch hinwollen, keine Menschenseele ist, höchstens ein oder zwei Bergsteiger, aber nicht einmal damit rechne ich zu dieser Jahreszeit. Du musst wissen, hier kann noch jederzeit Schnee fallen. Wenn er heute Nacht fällt, können wir uns beide begraben lassen.»
    «Also schön, lassen wir uns begraben, Japhy. Aber vorher ruhen wir uns hier noch ein bisschen aus, trinken einen Schluck Wasser und bewundern die Wiese.» Wir waren müde und bester Dinge. Wir streckten uns im Gras aus und erholten uns etwas und tauschten unsere Rucksäcke und schnallten sie wieder auf und waren nicht mehr zu halten. Fast unmittelbar danach hörte der Grasbewuchs auf, und es ging los mit den Felsblöcken. Wir kletterten auf den ersten, und von nun an war es ein einziges Springen von Felsblock zu Felsblock. Allmählich kamen wir immer höher, immer höher, und nach acht Kilometern den Abhang hinauf wurden die Felsen steiler und steiler. Ungeheure Gesteinswände ragten an beiden Seiten empor, und es schien so, als ob wir bis zum Felsvorsprung so von Stein zu Stein springen müssten.
    «Und was ist hinter dem Felsvorsprung?»
    «Da oben ist hohes Gras, Gebüsch, versprengte Felsen, hübsche kleine Schlängelflüsse, die sogar am Nachmittag Eis mit sich führen, Einsprengsel von Schnee, gewaltige Bäume und ein riesiger Felsblock, der so aussieht, als ob man zwei Exemplare von Alvahs Gartenhaus übereinandergeschichtet hätte, und der obere ragt ein wenig nach vorn über und bildet so eine Art Höhle, in der wir kampieren und ein Lagerfeuer anzünden wollen, das die Hitze gegen die Wand wirft. Danach hören dann das Gras und der Baumbestand auf. Das ist ungefähr in einer Höhe von dreitausend.»
    Mit meinen Tennisschuhen war es kinderleicht, so unbeschwert von Fels zu Fels zu tanzen, doch es dauerte nicht lange, da merkte ich, wie elegant Japhy das machte. Er schwang sich gemächlich von Fels zu Fels, manchmal machte er richtiggehend Tanzschritte, kreuzte die Beine, links-rechts, links-rechts, und eine Zeitlang machte ich ihm jeden Schritt nach. Aber dann kam ich dahinter, dass ich mir besser meine eigenen Felsen spontan aussuchte und meinen eigenen Zickzacktanz veranstaltete.
    «Das Geheimnis, auf diese Art zu klettern», sagte Japhy, «ist wie Zen. Denke nicht! Tanz nur so vor dich hin. Es ist die leichteste Sache von der Welt, genau genommen leichter als das eintönige Gehen zu ebener Erde. Die raffiniertesten kleinen Probleme begegnen dir bei jedem Schritt, und doch zögerst du nicht und bist plötzlich auf einem ganz anderen Felsen, den du dir ganz absichtslos ausgesucht hast, genau wie Zen.» Und so war es auch.
    Wir sprachen jetzt nicht viel. Es wurde ermüdend für die Beinmuskeln. Es dauerte Stunden, etwa drei, bis wir den langen Abhang hinaufgeklettert waren. Inzwischen kam der Spätnachmittag, und das Licht wurde bernsteinfarben, und die Schatten fielen drohend auf die kahlen Felsblöcke, und doch machte es dich nicht ängstlich, sondern gab dir wieder das Gefühl von Ewigkeit. Die Markierungen waren alle so angebracht, dass man sie leicht sehen konnte. Man stand oben auf einem Felsblock, sah nach vorn, fasste eine Markierung ins Auge – im Allgemeinen nur zwei flache Steine übereinander und vielleicht obendrauf noch zu Dekorationszwecken ein runder –, und dann schlug man die so festgelegte Richtung ein. Die Markierungen waren von vorherigen Wanderern gesetzt worden, um anderen den einen oder anderen Kilometer herumirren in diesem ausladenden Tal zu ersparen. Unser brüllender Gebirgsbach war immer noch da, doch inzwischen dünner und ruhiger geworden, er entsprang, das konnte ich jetzt sehen, einem großen schwarzen Fleck im grauen Gestein der Felswand, die einen guten Kilometer voraus aufragte.
    Mit einem schweren Rucksack auf dem Buckel von Fels zu Fels springen und dabei nicht hinfallen, ist leichter, als es sich anhört. Wenn man einmal den Tanzrhythmus gefunden hat, kann man einfach nicht stürzen. Manchmal sah ich mich um und blickte in das Tal hinab und war überrascht, wie hoch wir schon waren

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