Gammler, Zen und hohe Berge (German Edition)
sie. Kannst du auf sie aufpassen, während ich heute Abend arbeiten gehe?»
«Also wirklich, Alter ––»
«Ach Mann, sei nicht so. Du weißt, was in der Bibel steht: ‹Die Letzten werden die Ersten sein.›»
«Schon gut, aber ich hatte vor, mich heut Abend zu amüsieren.»
«Amüsieren ist nicht alles. Man hat manchmal ein paar Verpflichtungen, weißt du.»
Ich hatte keine Chance, mit meinen neuen Sachen im Place anzugeben. Er fuhr mich zur Cafeteria auf der Van Ness Avenue, wo ich Rosie einen Packen belegte Brote von seinem Geld besorgte, und ich ging allein zurück und versuchte, sie zum Essen zu bringen. Sie saß in der Küche und starrte mich an.
«Aber merkst du denn nicht, was dies bedeutet!», sagte sie immer wieder. «Jetzt wissen sie alles von dir.»
«Von wem?»
«Von dir.»
«Von mir?»
«Von dir und Alvah und Cody und diesem Japhy Ryder, von euch allen und mir. Von allen, die im Place rumhängen. Wir werden alle morgen verhaftet, wenn nicht schon eher.» Sie sah starr vor Angst zur Tür.
«Warum hast du versucht, dir so die Arme aufzuschneiden? Ist das nicht gemein, wenn man das mit sich selbst macht?»
«Weil ich nicht leben will. Ich sage dir, es wird jetzt eine große, neue Polizeirevolution geben.»
«Nein, es wird eine Rucksackrevolution geben», sagte ich lachend; ich merkte nicht, wie ernst die Lage war; in Wirklichkeit waren Cody und ich unvernünftig, wir hätten an ihren Armen sehen müssen, wie weit sie gehen wollte. «Hör mal zu», sagte ich, aber sie wollte nicht zuhören.
« Merkst du denn nicht, was los ist?», schrie sie, indem sie mich mit großen, weiten, aufrichtigen Augen anstarrte und versuchte, mir mit irrem Blick zu suggerieren, dass das, was sie sagte, absolut wahr war. Sie stand da in der Küche der kleinen Wohnung, die skelettartigen Hände flehend, erklärend ausgestreckt, mit steifen Beinen, das rote Haar ganz durcheinander, zitterte und schüttelte sich und fuhr sich von Zeit zu Zeit mit den Händen über ihr Gesicht.
«Das ist doch Scheiße!», brüllte ich, und plötzlich hatte ich ein Gefühl, das ich immer kriegte, wenn ich Leuten das Dharma zu erklären versuchte; Alvah, meine Mutter, meine Verwandten, Freundinnen, alle, sie hörten nie zu, sie wollten immer, dass ich ihnen zuhörte, sie wussten Bescheid, ich wusste gar nichts, ich war nur ein dummer, grüner Bengel und unpraktischer Trottel, der die ernste Bedeutung dieser sehr wichtigen, sehr wirklichen Welt nicht begriff.
«Die Polizei wird zuschlagen und uns alle verhaften und nicht nur das, sondern wir werden alle wochen- und wochenlang und vielleicht jahrelang verhört werden, bis sie alle Verbrechen und Sünden, die begangen worden sind, aufdecken, es ist ein ganzes Netz, es läuft in jede Richtung, schließlich werden sie alle in North Beach verhaften und sogar alle in Greenwich Village und dann in Paris, und dann schließlich werden sie alle im Gefängnis haben; du hast keine Ahnung, das ist nur der Anfang.» Sie fuhr bei jedem Geräusch im Flur hoch und dachte, die Cops kämen.
«Warum hörst du denn nicht auf mich?», beschwor ich sie immer wieder, aber jedes Mal, wenn ich das sagte, hypnotisierte sie mich mit Augen, die mich anstarrten, und brachte mich zeitweise fast dazu zu glauben, was sie glaubte, allein durch das Gewicht ihrer völligen Hingabe an die Ausgeburten ihrer Fantasie. «Aber du greifst diese albernen Urteile und Vorstellungen aus der Luft, merkst du nicht, dass dies ganze Leben nur ein Traum ist? Warum bleibst du nicht ganz ruhig und freust dich an Gott? Gott bist du , du Närrin!»
«Oh, sie werden dich zerstören, Ray, ich seh es kommen, und dann holen sie auch all die gläubigen Spinner und sperren sie für immer ein. Es hat erst angefangen. Es hängt alles mit Russland zusammen, wenn sie es auch nicht sagen … und ich hab so was gehört über die Sonnenstrahlen und was passiert, wenn wir alle schlafen. Oh, Ray, die Welt wird nie wieder so wie früher!»
«Welche Welt? Ist das nicht ganz egal? Hör bitte auf, du machst mir Angst. Mein Gott, das heißt, du machst mir keine Angst, und ich will jetzt kein Wort mehr hören.» Ich ging raus, ärgerlich, kaufte mir etwas Wein und traf Cowboy und ein paar andere Musiker und lief mit dem Haufen zurück, um auf sie aufzupassen. «Trink ein bisschen Wein, werd mal ein bisschen klar im Kopf.»
«Nein, ich höre mit der Sumpferei auf, dieser ganze Wein, den ihr trinkt, ist schädliches Gesöff, er brennt einem den Magen aus,
Weitere Kostenlose Bücher