Gammler, Zen und hohe Berge (German Edition)
er legt sich einem aufs Gehirn. Ich merke schon, dass mit euch irgendwas nicht in Ordnung ist, ihr seid abgestumpft, ihr merkt nicht, was los ist!»
«Ach komm schon.»
«Dies ist mein letzter Abend auf dieser Erde», sagte sie noch.
Die Musiker und ich tranken den ganzen Wein aus und redeten bis gegen Mitternacht, und Rosie ging es anscheinend jetzt wieder gut, wie sie auf der Couch lag, redete, sogar ein bisschen lachte, ihre Brote aß und etwas Tee trank, den ich ihr aufgebrüht hatte. Die Musiker gingen, und ich schlief auf dem Küchenfußboden in meinem neuen Schlafsack. Aber als Cody des Nachts nach Hause kam und ich weg war, ging sie auf das Dach hinauf, während er schlief, und zerbrach das Dachfenster, um sich mit den zackigen Glasscherben die Pulsadern aufzuschneiden, und saß in der Morgendämmerung blutend da, als ein Nachbar sie sah und die Polizei rief, und als die Polizisten raus aufs Dach liefen, um ihr zu helfen, da passierte es: Sie sah die großen Polizisten, die uns alle verhaften wollten, und rannte an die Dachkante. Der junge irische Cop stürzte ihr nach und kriegte gerade noch ihren Bademantel zu fassen, und sie fiel nackt auf den Bürgersteig sechs Stockwerke tiefer. Die Musiker, die unten im Souterrain wohnten und die ganze Nacht auf gewesen waren und geredet und Platten gespielt hatten, hörten den dumpfen Schlag. Sie guckten aus dem Kellerfenster und sahen den fürchterlichen Anblick. «Mann, das hat uns vielleicht fertiggemacht! Wir konnten den Abend keinen Ton spielen.» Sie zogen die Jalousien vor und zitterten. Cody schlief … Als ich am nächsten Tag davon hörte und in der Zeitung das Bild sah, das ein X auf dem Bürgersteig zeigte, wo sie gelandet war, da war einer meiner Gedanken: ‹Wenn sie mir doch bloß zugehört hätte … Hab ich denn wirklich so dummes Zeug geredet? Sind meine Ansichten über das, was man tun soll, so albern und dumm und kindlich? Ist es jetzt nicht an der Zeit, sich nach dem zu richten, wovon man weiß, dass es wahr ist?›
Und das war es dann. Die Woche darauf packte ich meine Sachen und beschloss, mich auf die Reise zu machen und rauszukommen aus der Stadt der Unwissenheit, denn so ist die moderne Stadt. Ich sagte Japhy und den anderen auf Wiedersehen und sprang auf meinen Güterzug die Küste runter zurück nach L. A. Arme Rosie – sie war absolut sicher gewesen, dass die Welt wirklich war und Angst wirklich war, und was war nun wirklich? ‹Wenigstens›, dachte ich, ‹ist sie jetzt im Himmel, und sie weiß es.›
16. Kapitel
Und mir selbst sagte ich das: «Ich bin jetzt auf dem Weg zum Himmel.» Plötzlich wurde mir klar, dass ich im Laufe meines Lebens noch eine Menge zu tun hatte, um meine Lehren zu verbreiten. Wie gesagt, ich traf mich mit Japhy, bevor ich wegfuhr, wir wanderten traurig zum Park in Chinatown, gingen bei Nam Yuen essen, kamen wieder raus, saßen im Sonntagsmorgengras, und plötzlich stand da eine Gruppe von schwarzen Predigern; sie sprachen zu uninteressierten Chinesenfamilien, die kaum zuhörten und ihre Kleinen im Gras rumtoben ließen, und zu Gammlern, die sich nur ein ganz kleines bisschen mehr dafür interessierten. Eine große, dicke Frau, die wie Ma Rainey aussah, stand mit gespreizten Beinen da und intonierte laut klagend eine gewaltige Predigt mit einer dröhnenden Stimme, die immer wieder von der gesprochenen Rede in Bluesgesang umschlug, herrlich, und der Grund, warum diese Frau, die eine so große Predigerin war, nicht in einer Kirche predigte, war, dass sie einfach alle paar Augenblicke «Rrk-pff» machte und so kräftig, wie sie konnte, seitwärts ins Gras spucken musste. «Und ich sage euch, der Herr wird euch behüten, wenn ihr erkennt, dass ihr ein neues Feld zu bestellen habt … Ja !» – und Rrk-pff, dreht sie sich um und spuckt ungefähr zehn Fuß weit ein großes Rrk-pff aus. Spuckte auf den Boden. «Siehst du», sagte ich zu Japhy, «sie könnte das nicht in einer Kirche machen, das ist ihr Makel als Predigerin, was die Kirchen angeht, aber Mensch, hast du jemals eine größere Predigerin gehört?»
«Ja», sagte Japhy. «Aber ich mag dies ganze Gerede von Jesus nicht.»
«Was hast du gegen Jesus? Hat Jesus nicht vom Himmel gesprochen? Ist der Himmel nicht Buddhas Nirwana?»
«Nach deiner eigenen Interpretation, Smith.»
«Japhy, es gab Dinge, die ich Rosie sagen wollte, aber dieses Schisma bedrückte mich, das wir haben, Buddhismus und Christentum getrennt, Ost und West, was ist denn da
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